JOE MEEK


 

Joe Meek - ein Portrait

Teil 5: Hits und Musiker

( here)

 

Insgesamt hat Joe Meek im Laufe seiner Karriere 25 Platten in den britischen Top 40 unterbringen können. Die Jahre 1962 bis 1964 waren eindeutig seine produktivste und kommerziell erfolgreichste Zeit. Allein 1963 standen nicht weniger als 14 Meek-Produktionen in den Charts, im Sommer des Jahres gelang ihm sogar das Kunststück, mit vier Titeln gleichzeitig in den Top 30 zu stehen.

Trotzdem hatte Meek insgesamt nur drei Nummer-1-Hits in Großbritannien, und zwar die folgenden:

 

John Leyton: Johnny Remember Me (Juli 1961)

Noten und Label, GB

Ein atmosphärisch dichter Todessong; auf dem Weg durchs Moor hört der Sänger im Rauschen des Windes in den Baumwipfeln die Stimme seiner verstorbenen Liebsten, die ihn ruft. Das Stück, das Geoff Goddard nach eigener Aussage in 20 Minuten schrieb, ist noch heute für jede Gänsehaut gut und gehört zum Besten, was Meek in seiner Hexenküche je gebraut hat. Gleichzeitig ist diese Aufnahme ein Musterbeispiel für Meeks Fähigkeit, in seinen Produktionen jeden überflüssigen Schnickschnack zu eliminieren. Was man auf dieser Platte hört, ist essentiell, weglassen kann man da nichts mehr. Begleitet wird Leyton von den Outlaws; arrangiert hat den Song Charles Blackwell; bemerkenswert die höchst präzise Rhythmusgitarre (es ist nicht ganz klar, wer sie spielt; nach seiner eigenen Aussage ist es der Sessionmusiker Eric Ford). John Leyton selbst, aber auch Meek-Biograph Barry Cleveland, behaupten, das Stück enthalte auch Streicher und Bläser. Bei Leyton liegt wohl ein Erinnerungsfehler vor, er meint offenkundig ein anderes Stück (nach mehreren Jahrzehnten wohl verständlich); woher allerdings Cleveland seine Erkenntnis nimmt, ist nicht nachvollziehbar - auch bei gründlichstem Hören im Kopfhörer sind weder Streicher noch Bläser zu entdecken. Dafür ist das Stück eine der wenigen Aufnahmen, in denen Meek den Gesang einmal nicht beschleunigt, sondern im Gegenteil leicht verlangsamt hat. Und legendär ist natürlich der weibliche Refraingesang, der aus einer anderen, einer "jenseitigen" akustischen Ebene zu kommen scheint: Mit großer Wahrscheinlichkeit ließ Meek die Sängerin Lissa Gray (eine ausgebildete Kammersängerin) zu diesem Behuf im gekachelten Badezimmer singen.

Die BBC ließ durchblicken, man werde die Platte nicht spielen, da man Goddards ursprüngliche Textzeile " I hear the voice of my darling, the girl I loved who died a year ago" für "morbid" hielt. Goddard änderte daraufhin den Text. Auf der Platte war dann "... the girl I loved and lost a year ago" zu hören. Was die Sache eher noch geheimnisvoller machte. Trotzdem setzte die BBC die Platte auf die schwarze Liste, doch Meek gelang es, den Song in der populären ITV-Serie "Harpers West One" unterzubringen. Der Bann wirkte sich letztlich - wie oft in solchen Fällen - als erstklassige Werbung aus: Johnny Remember Me kletterte auf die Nummer 1 der Charts, verkaufte 500.000 Exemplare und wurde "Record of the Year".

Der Nachfolgehit Wild Wind, schon kurze Zeit später im September 1961 veröffentlicht und auch wieder ein - diesmal hochdramatisch arrangierter - Todessong, kam immerhin noch auf 300.000 verkaufte Platten (10 Wochen in den Charts, höchster Rang Platz 2). Die beiden Hits machten John Leyton zeitweilig zu Englands bestbezahltem Sänger. Mit Son This Is She (Dezember 1961) ging der Erfolg dann allmählich zurück (die Platte erreichte aber immerhin noch Platz 15). Auch in späteren Jahren tauchte Leyton zwar immer wieder einmal in den Charts auf, hatte sich aber vorrangig bereits wieder der Schauspielerei zugewandt.

 

The Tornados: Telstar (August 1962)

GB, USA, Deutschland

Die Meek-Komposition Telstar ist einer der größten Instrumental-Hits der Popgeschichte, von dem weltraumverrückten Meek nach dem Start des ersten Kommunikationssatelliten so benannt, ein teuflischer, unsterblicher, spaciger Ohrwurm. Von den Tornados stammt dabei nur das Grundplayback und die Gitarrensoli, da die Band dann zu einen anderen Termin aufbrechen musste: Aufgrund eines früheren Vertrages waren die Tornados die Live-Begleitband des Sängers Billy Fury; der Impresario Larry Parnes wollte sie weder für Geld noch gute Worte aus diesem Vertrag entlassen.

Meek hat das halbfertige Playback dann mit seinem Mitstreiter Geoff Goddard vervollständigt. Goddard spielte die Melodiestimme auf dem Clavioline (ein bemerkenswert präzis gespieltes dreifaches Overdubbing in zwei Oktavlagen), und es ist auch seine Stimme, die gegen Ende des Stücks im Hintergrund auftaucht. Meek fügte am Anfang und Ende eine Geräuscheinspielung hinzu, die er schon 1961 für seine Weltraumsuite I Hear A New World (mehr dazu siehe hier) verwendet hatte. Das Ganze wurde wie üblich mit einer kräftigen Portion Hall garniert, beschleunigt und bis zum Abwinken komprimiert.

Die Tornados, als sie das Produkt später hörten, hielten das Stück für "Crap". Die Plattenkäufer sahen das anders: Die Single stand sechs Monate lang in den britischen Charts, am 3. Oktober verdrängte Telstar Elvis Presley vom 1. Platz und hielt diese Position fünf Wochen lang. Weihnachten 1962 erreichte Telstar auch in den USA Platz 1 der Billboard-Charts und war damit die erste britische Produktion überhaupt, der das gelang. Weitere Nummer-1-Placierungen erreichte der Titel in Belgien, Irland und Südafrika; in Holland und Norwegen wurde er Nummer 3. Insgesamt erreichte Telstar Chartplacierungen in 17 Ländern rund um die Erde. In Deutschland trat die Single im November 1962 in die Hitliste ein und erreichte als höchste Placierung zwar nur Rang 6, hielt sich aber immerhin 20 Wochen lang in den Charts, acht davon in den Top 10 (siehe dazu auch hier die Anmerkungen zum "falschen" Label der deutschen Pressung).

Allein in Großbritannien ist Telstar in der originalen Tornados-Version auf Singles, EPs und LPs im Laufe der folgenden beiden Jahre etwa 4 Millionen Mal verkauft worden; zum Zeitpunkt von Meeks Tod waren dann bereits rund 7 Millionen Exemplare über die Ladentheken gegangen. Und das ist noch nicht alles, denn bis heute ist das Stück unendlich oft auch von anderen Interpreten nachgespielt worden (eine Übersicht finden Sie hier). In den USA ist heute die Coverversion der Ventures bekannter als das Original - und doch, der Hörvergleich zeigt es unabweisbar: Das Original ist unschlagbar - ein Pop-Solitär, den "Mojo" mit Recht zu den 100 besten Singles aller Zeiten zählt. Und noch heute rätseln die Hörer, was man da am Anfang und Ende eigentlich hört.

Der Nachfolge-Titel Globetrotter erschien im Januar 1963, stand 11 Wochen in den Top 40 und erreichte Platz 5. Dass Meek im übrigen versucht hat, mit einer gesungenen Telstar-Version an seinen großen Erfolg anzuknüpfen (Magic Star mit Kenny Hollywood), sei der Vollständigkeit halber vermerkt. Die Platte war lachhaft und blieb ohne jeden Erfolg.

 

The Honeycombs: Have I The Right (Juni 1964)

GB und Deutschland

The Honeycombs hießen so nach ihrer Schlagzeugerin Ann "Honey" Lantree und der Tatsache, dass sie und der Gruppengründer Martin Murray Friseure gewesen waren und folglich der Kamm (comb) zu ihren Werkzeugen gehört hatte, woraus sich das Wortspiel "Honeycombs" (Honigwaben) ergab.

Nachdem die Band das Playback und den Gesang aufgenommen hatte, hat Meek die Aufnahme einer Nachbearbeitung unterzogen, wie sie wohl nur ihm einfallen konnte: Er ließ die Bandmitglieder und einige weitere Personen auf der Holztreppe zum Studio den Takt trampeln und nahm diesen Radau mit fünf Mikrofonen auf, die er mit Fahrradklammern am Geländer befestigt hatte. Zudem wurde mit einem Tambourin direkt auf ein Mikrofon eingeschlagen. Danach wurde, wie bei Meek üblich, die Aufnahme beschleunigt und bis zum Gehtnichtmehr komprimiert. (Dennis D'Ell, der Sänger der Honeycombs, hat seine beschleunigte Stimme gehasst, zumal dieser Klang bei Liveauftritten nicht reproduzierbar war.)

Die Komposition von Ken Howard und Alan Blaikley wurde im Juni 1964 veröffentlicht; sieben Wochen lang passierte gar nichts, dann plötzlich hob die Platte ab. Am 26. August erreichte sie Platz 1 der britischen Charts, stand damit vor Manfred Mann, den Kinks und den Beatles und hielt sich 15 Wochen lang in den Top 30. Im August wurde die Platte auch in den USA veröffentlicht, wo sie immerhin Platz 5 der Billboard-Charts erreichte. Insgesamt tauchte das Stück in den Hitlisten von mehr als 20 Ländern auf und verkaufte sich innerhalb eines Jahres etwa 2 Millionen Mal. Wenig später nahmen die Honeycombs auch eine deutschsprachige Version des Stücks auf (Hab ich das Recht; mehr dazu hier). Noch heute ist Have I The Right auf etlichen Oldie-Samplern zu finden.

Die Honeycombs konnten den Welterfolg von Have I The Right nicht wiederholen, hatten aber 1964 und im Folgejahr durchaus weitere Hits (Is It Because, Oktober 1964, höchste Placierung Rang 38; Something Better Beginning, März 1965, Rang 39, geschrieben von keinem Geringeren als Kinks-Songwriter Ray Davies; That's The Way, Juli 1965, Rang 12), sie waren also keineswegs das "One Hit Wonder", als das sie manchmal dargestellt werden. Besonders populär blieb die Band in Schweden.

Have I The Right war der Anfang vom Ende der Zusammenarbeit von Meek und Geoff Goddard. Mehr Hintergrund über diese hoch unglückliche Angelegenheit hier.

 

Weitere Hits

Dazu kommen eine ganze Reihe kleinerer Hits aus Meeks unmöglichem Wohnzimmerstudio. Über die meisten davon ist die Zeit hinweggegangen, aber einige sind zumindest Oldie-Fans noch bekannt. Viele dieser Platten sind auch auf Plattenbörsen noch zu finden. Hier sind einige hörenswerte:

 

Michael Cox: Angela Jones (Mai 1960)

GB und SWE

Michael Cox aus Liverpool hatte bereits zwei Platten bei Decca Records veröffentlicht, beide waren erfolglos geblieben. Auf Empfehlung des Fernsehproduzenten Jack Good ("Wham!", "Boy Meets Girl") kam er dann zu Joe Meek, der Angela Jones mit ihm aufnahm. Dieser Song, die Coverversion eines US-Hits von Johnny Ferguson, erreichte Platz 7 in den britischen Charts. Da Meeks Plattenfirma Triumph Records allerdings zu diesem Zeitpunkt so gut wie kein Geld mehr hatte, konnten keine Platten mehr nachgepresst werden, und sie war in englischen Läden kaum mehr zu bekommen. Eine spätere Ember-Pressung war nur für den Export bestimmt.

Ein ernstzunehmender Anschlusstreffer ist Cox in Großbritannien nicht gelungen. Dafür wurde er in Schweden, wo eine Lizenzausgabe des Titels auf dem Gazell-Label erschien, für etliche Jahre zu einem Superstar. Und mit dem im Kapitel "Meek-Sound" bereits erwähnten Sweet Little Sixteen vom August 1961 gelang ihm ein Stück, das zwar nie in den Charts auftauchte, heute aber als Klassiker des britischen Rock'n'Roll angesehen wird.

 

Mike Berry: Tribute To Buddy Holly (September 1961)

GB

Meeks stimmungsvoller Nachruf auf seinen großen Helden, geschrieben von Geoff Goddard, gesungen von Meeks stimmlicher Holly-Reinkarnation Mike Berry, inklusive effektvoll eingesetztem Peggy-Sue-Zitat. Als Begleitband sind hier wiederum die Outlaws zu hören.

Bevor Meek diese Platte veröffentlichte, hatte er sie vom britischen Buddy-Holly-Fanclub absegnen lassen. Und Buddy Holly "selbst" hatte in einer Séance mittels Ouija-Board den Erfolg vorausgesagt: "Will go to #1", soll das auf dem Buchstabenbrett umherwandernde Glas gesagt haben. Zwar erreichte die Platte letztlich doch nur die Nummer 24 der Charts (6 Wochen in den Top 40), aber wer wird schon so kleinlich sein ... Die BBC boykottierte diese Platte, dafür aber hatte sie gute Einsätze auf Radio Luxembourg.

 

The Moontrekkers: Night Of The Vampire (September 1961)

Österreichische Veröffentlichung

Der Titel ist ein wunderbarer Instrumentalohrwurm in bester Surf-Tradition, aufgepeppt mit Sturmgeheul, knarrenden Sargdeckeln und einem höchstpersönlich schrill kreischenden Meek. Das Stück erreichte Platz 50 der Charts und stürzte nach nur einer Woche ab, weil aufgrund eines Streiks der Presswerkarbeiter keine Platten mehr nachgeliefert wurden. Das Stück wurde aber zu einem Dauerbrenner im Programm von Radio Luxembourg und wurde dadurch immerhin noch zu einem ansehnlichen Airplay-Erfolg.

 

Screaming Lord Sutch: Til The Following Night (Dezember 1961)

GB

Kein Stück, das jemals in den Charts auftauchte, aber ein Langläufer, der über mehrere Jahre hinweg letztlich doch recht kommerzielle Stückzahlen verkaufte. Und es war wiederum ein Todessong (diesmal allerdings ein parodistischer), mit klirrenden Ketten, schaurigen Schreien und heulendem Gewittersturm aufgeschäumt zu einem Minihörspiel, wie es wohl nur Meek hinbekommen konnte. Der ursprünglich vorgesehene Titel "My Big Black Coffin" wurde auf Drängen der BBC geändert, dennoch setzte der Sender auch diese Platte auf die Schwarze Liste. Was ihrem Erfolg nur zugute kam.

Einen ähnlichen Erfolg ohne Chartplazierung hatte Screaming Lord Sutch mit Jack The Ripper zu verzeichnen; erschienen im März 1963.

 

Heinz: Just Like Eddie (Juli 1963)

Dänische Bildhülle

Geschrieben wiederum von Geoff Goddard, der hier auch als Back-up-Sänger zu hören ist; an der Gitarre hören wir Ritchie Blackmore. Ein Tribute-Song für den 1960 verstorbenen Eddie Cochran; er erreichte Platz 5 der britischen Charts und stand 15 Wochen lang in den Top 40. Angesichts der rund 10.000 Pfund allerdings, die Meek zu diesem Zeitpunkt bereits in seinen "Golden Boy" investiert hatte, ist zu fragen, ob das Projekt Heinz überhaupt jemals schwarze Zahlen erwirtschaftet hat (dazu später mehr).

Der Nachfolge-Titel Country Boy erschien im November 1963, erreichte Platz 26 und stand 9 Wochen in den britischen Charts.

*

Es wären noch eine ganze Reihe weiterer Musiker, Bands und Titel zu nennen, die kleinere Erfolge erzielt haben: Meeks nordenglische Country-Stimme Houston Wells etwa, der es mit Only The Heartaches im Mai 1963 bis auf Rang 22 der Charts brachte; Don Charles, sicher einer von Meeks besten Sängern, der im Februar 1962 mit Walk With Me My Angel Rang 39 erreichte; The Crying Shames, die im Februar 1966 mit der Burt-Bacharach-Komposition Please Stay Rang 26 erreichten und sieben Wochen lang in den Charts standen. - Eine Liste aller Hits von Meek finden Sie hier.

Nicht zu reden von den Acts, die beste Popmusik ablieferten und es dennoch nicht schafften; etwa Glenda Collins, The Riot Squad, The Millionaires, The Blue Rondos, um nur einige zu nennen ...

Allein drei der oben aufgeführten Hits (Johnny Remember Me, Just Like Eddie und Tribute To Buddy Holly) hatte der bereits erwähnte Geoff Goddard geschrieben. Er sang als Kind im Kirchenchor und studierte später Klavier und Bratsche an der Royal Academy of Music. Meek, der Goddard zunächst unter dem Namen "Anton Hollywood" und mit Kerzenleuchter auf dem Flügel zu einer Art "Liberace von Reading" machen wollte, erkannte bald, dass dessen eigentliche Stärke das Songschreiben war.

Geoff Goddard, Zeitungsfoto, ca. 1960
(Foto: unbekannt)

Als Songschreiber und Pianist wurde er - neben Dave Adams - mehrere Jahre lang Meeks wichtigster Mitstreiter. Und das nicht nur in dieser Hinsicht, auch auf einem anderem Gebiet hatten sich mit Meek und Goddard zwei gleichgesinnte Seelen gefunden: im Glauben an Spiritismus und alles Okkulte. (Ausführliche Infos über Geoff Goddard und seine Kompositionen finden Sie hier.)

 

<< zurück | weiter >>

 


Quellen s. Teil 13


[Home] [Joe Meek Portrait] [Complete Recordings] [Meek Compositions] [Goddard Compositions] [Triumph Story] [CD Discography] [Noten/Scores] [Telstar Cover Versions] [Meek in Germany] [Literature, Documentaries etc.] [Miscellaneous] [Links] [About] [Contact] [Sitemap]


© 2006 Jan Reetze

last update: July 27, 2012