JOE MEEK


 

Joe Meek - ein Portrait

Teil 7: Die Fälle Telstar, Heinz, Madras Place, Howard/Blaikley

 

( here!)

 

Der Fall Telstar

Einige Monate nach dem Erfolg von Telstar meinte der französische Komponist Jean Ledrut (1903-1982) in Joe Meeks Bestseller vier Takte aus seiner Filmmusik für den Film "Austerlitz" ( Regie: Abel Gance, 1960) wiederzuerkennen und schaltete Anfang 1963 einen Anwalt ein. Meek kannte den Film nicht und hielt sich als Produzent eines Welthits offenbar für unverwundbar, und so beschloss er, das Schreiben von Ledruts Anwalt zu ignorieren.

Das sollte sich bitter rächen. Ledrut verklagte Meek. Der Prozess begann im März 1963 in Paris, wurde zu einem juristischen Schlagabtausch mit Gutachten und Gegengutachten und zog sich letztlich über fünf Jahre hin. Die stetig sich weiter ansammelnden Telstar-Tantiemen wurden währenddessen - wie in solchen Fällen automatisch üblich - von der britischen Urheberrechtsgesellschaft auf einem Sperrkonto eingefroren.

Das Gericht nahm Meek ab, dass er den Film und die Musik nicht kannte und unterstellte ihm keine Plagiatsabsicht. Es hielt die Parallelen zwischen Telstar und Ledruts Filmmusik aber für deutlich genug, um Ledrut 8500 Pfund zuzusprechen (das entspräche heute etwa 215.000 Pfund, 235.000 Euro oder 350.000 US-Dollar).

Leider hat Meek dieses Urteil nicht mehr erlebt. Die Tantiemen vom Sperrkonto gingen an seine Erben. Reich geworden ist dennoch niemand damit. Einzig auf den Musikverlag Ivy Music, bei dem die Komposition Telstar erschienen war, dürfte ein warmer Regen niedergegangen sein. Der Rest wurde zur Deckung von Meeks Steuer-, Miet-, Honorar- und sonstigen Schulden verwendet.

Gelegentlich sind Stimmen von Meek-Fans zu hören, die Ledrut die direkte oder indirekte Schuld an Meeks Ruin zuschieben; auch ein Wikipedia-Artikel über Telstar legt diese Lesart nahe. Diesen Prozess aber, das muss klar gesagt werden, hat sich Meek selbst zuzuschreiben. Dass er den Film nicht kannte, darf man ihm zwar glauben, die Ähnlichkeit von Ledruts "Marche d'Austerlitz" und Meeks Telstar war sicher unbeabsichtigt, aber sie war vorhanden. Jeder vernünftige Anwalt würde in einer solchen Situation empfehlen, eine außergerichtliche Einigung anzustreben. Hätte Meek dies getan, wäre die Angelegenheit mit ziemlicher Sicherheit auf ein ähnliches Ergebnis hinausgelaufen wie letztlich das Urteil - nur wäre sie dann spätestens 1964 vom Tisch gewesen.

Es ist ein Märchen, dass die nicht ausgezahlten Telstar-Tantiemen Meek in den Ruin getrieben hätten. Auch ohne Telstar arbeitete die Firma RGM Sound in den Jahren 1962 bis 1964 hochprofitabel; allein im Jahr 1963 hatte Meek nicht weniger als elf Top-50-Hits in England, im Jahr 1964 kam dann noch seine Produktion Have I The Right hinzu, die ein Welthit wurde. Ruiniert hat sich Meek im Jahr 1965, und zwar ganz allein. Darauf wird später noch einzugehen sein.

Die Musiker übrigens - inklusive Geoff Goddard - waren an den Telstar-Tantiemen nicht beteiligt. Sie erhielten, wie damals üblich, lediglich ein Honorar für ihre Mitwirkung an der Aufnahmesession; zumeist Beträge um 3 Pfund. Der einzige, der von Telstar tatsächlich profitierte, dürfte indirekt gerade Geoff Goddard gewesen sein: Er war der Komponist der B-Seite, Jungle Fever, die sich logischerweise ebenso oft wie die A-Seite verkaufte. Und da Goddard als Urheber nie in Frage stand, hat er seine Tantiemen pünktlich und vollständig erhalten.

Das Urteil des französischen Gerichts ist aus noch einem weiteren Grund interessant: In ihrer Urteilsbegründung hoben die Richter nicht allein auf die eigentliche Melodie ab, sondern auch auf den Sound und die gesamte produktionstechnische Aufbereitung des Stücks. Dies alles müsse als Gesamtleistung gesehen werden; der Erfolg des Stücks sei nicht auf die Melodie allein zurückzuführen. Damit wurde erstmals die Arbeit eines Musikproduzenten als eigenständige kreative Leistung zur Kenntnis genommen.

 

Der Fall Heinz

Eine zunehmende Zahl von Problemen türmte sich vor Joe Meek auf und fütterte seine Paranoia: die Uppers und die Downers; seine Unfähigkeit, auch nur kleine Aufgaben zu delegieren; der zermürbende Telstar-Prozess. Ein spezielles Problem aber war Meeks unglückliche Liebe zu Heinz Burt (24. Juli 1942 - 7. April 2000), dem Bassgitarristen der Tornados, in den er sich nicht nur verliebt hatte, sondern den er obendrein zu einem Solo-Rockstar aufbauen wollte. Heinz (als Sohn eines deutschen Vaters hieß er wirklich so) sollte Meeks Antwort auf den steigenden Erfolg des Merseybeats werden. Obwohl er nach Aussagen mehrerer Kollegen und seiner späteren Ehefrau Della nicht schwul war, lebte Heinz rund drei Jahre lang in 304 mit Meek zusammen, bestritt allerdings später in einem BBC-Interview, je mit ihm geschlafen zu haben. Das kann man glauben oder nicht.

Meek gründete eine eigenständige Firma für Heinz' Vermarktung. Das Geld für die "Heinz Burt Ltd." zweigte er von "Major" Banks' RGM-Gewinnanteilen ab, ohne diesen jedoch an der neuen Firma zu beteiligen. Als Banks das spitzbekam, dürfte - vorsichtig gesagt - der Teufel losgewesen sein.

Meek hatte den Film "The Village Of The Damned" (GB 1960) gesehen, in dem ultra-intelligente weißblonde außerirdische Kinder ein Dorf terrorisieren, und sofort verordnete er Heinz eine solche Haarfarbe. Und er studierte eine Bühnenshow mit ihm ein, die ihn zum "wild guy" stilisieren sollte. Meeks reißerische Werbung pries ihn als "blond bombshell" und als "truly one of the wildest men of pop" an. Heinz ließ das zwar mit sich machen, doch letztlich war er nicht das, was er darstellen sollte. Tatsächlich war Heinz ein freundlicher, phlegmatischer "boy next door" und imstande, sich in einer Telefonzelle zu verlaufen. Seine spieltechnischen Fähigkeiten am Bass und an der Gitarre reichten für den Hausgebrauch. Der Tornados-Drummer Clem Cattini fand in einer BBC-Sendung sogar, Heinz sei kaum in der Lage gewesen, sein Instrument zu halten, doch das dürfte reichlich überspitzt sein. Wäre Heinz tatsächlich ein so schlechter Bassspieler gewesen, hätte der Impresario Larry Parnes wohl kaum (wie in Kapitel 5 geschildert) darauf bestanden, die Tornados unbedingt weiter als Live-Band für seinen Star Billy Fury einzusetzen. Ein guter Sänger war Heinz allerdings wirklich nicht. Seine Stimme kam zwar auf Studioaufnahmen mit technischer Hilfe passabel zur Geltung, aber auf der Bühne war sein Gesang kurzatmig und flach. Manche sagen ihm zwar ein gewisses pantomimisches Talent nach, aber seine Bühnenpräsenz als "Frontmann" war wenig beeindruckend, und wenn er während seiner Show noch aufs Klavier sprang, wirkte das erst recht albern.

Heinz, 1963
(Foto: David Wedgebury)

Dreams Do Come True, Heinz' erste Single, verkaufte sich vierhundertmal und brachte 15 Pfund ein. Zu diesem Zeitpunkt aber hatte Meek bereits rund 10000 Pfund in das Projekt Heinz investiert, und "Major" Banks, der das Engagement für Heinz als Fehlinvestition ansah, wurde noch ungemütlicher als er ohnehin schon war. Auch hier hilft wieder die Umrechnung auf heutige Einkommensverhältnisse, um sich die Dimensionen klarmachen zu können: Die 10000 Pfund von 1963 würden heute etwa 345.000 Pfund, 380.000 Euro oder 560.000 US-Dollar entsprechen.

Im August 1963 gelang Heinz dann doch ein veritabler Hit, geschrieben von Geoff Goddard: Just Like Eddie - eine Hommage an den 1960 verunglückten Eddie Cochran und so gesehen erneut ein Todessong in der Tradition von Tribute To Buddy Holly. Aber es blieb Heinz' einziger wirklicher Hit. Er war kein "One Hit Wonder", es gab ein paar kleinere Nachzieher, er hatte eine Rolle in einer Musikkomödie ("Live It Up", GB 1963, mehr hier) und einen Cameo-Auftritt in einer TV-Serie - aber das war's dann. Meek produzierte mit Heinz bis Mitte 1966 weitere vier Singles und eine LP, doch Hits glückten nicht mehr. Auch die Beziehung zwischen Meek und Heinz lief zusehends schief (dazu später mehr).

 

Der Fall Madras Place

Im November 1963 wurde Meek wegen eines abendlichen Klappensex-Abenteuers - die im Prinzip nichts Ungewöhnliches waren - am Madras Place kurzzeitig festgenommen; das ihm vorgehaltene Delikt nannte man wegen der baulichen Gestaltung der damaligen Londoner Toilettenhäuschen "Cottaging". Zusammen mit einigen anderen ertappten Sündern wurde Meek eine halbe Meile im Gänsemarsch zur Revierwache an der Caledonian Road getrieben. Es folgte die polizeiliche Registrierung als Homosexueller und eine Strafanzeige ("persistently importuning for an immoral purpose"). Die 15 Pfund Bußgeld konnte er verschmerzen, schlimmer war eine aus dem Polizeibericht resultierende Pressemeldung. Die war klein, reichte aber aus, um Erpressungsversuche nach sich zu ziehen. Halbgare Teenager lauerten ihm auf und drohten damit, ihren Eltern zu "beichten", was Meek angeblich mit ihnen gemacht oder von ihnen verlangt habe, und mehr als einmal wurde er in Seitenstraßen zusammengeschlagen. Vielleicht wusste er, von wem, vielleicht nicht. Wenn er es wusste: Zu wem hätte er damit gehen sollen? Für einen registrierten Schwulen war die Polizei keine Adresse mehr.

Geoff Goddard sah in diesem Ereignis den Wendepunkt: "From now on everything went wrong", sagte er 1991 in einem BBC-Interview. Ob wirklich dies der Auslöser der nun beginnenden Talfahrt war, darüber kann man streiten. Sicher ist: Meeks Misstrauen nahm immer groteskere Züge an, auch Vertrauten und Freunden gegenüber. Außerhalb des Hauses sah man ihn nur noch mit Sonnenbrille, im Haus wurde eine Gegensprechanlage installiert, niemand kam mehr ohne Rücksprache hinein.

 

Der Fall Howard/Blaikley

Das Projekt Heinz kümmerte vor sich hin. Alle versuchten, Meek das Offensichtliche beizubringen, aber er wollte oder konnte nicht wahrhaben, dass sein "Golden Boy" ungeeignet für eine Rockkarriere war und dass sich da auch nichts retten ließ.

Mit Have I The Right mit den Honeycombs produzierte Joe Meek dann im Sommer 1964 doch noch einmal einen Welthit. Die Band war ihm von dem Songschreiberduo Ken Howard und Alan Blaikley empfohlen worden, das diesen Titel auch geschrieben hatte. Meek dürfte vorrangig von der Schlagzeugerin Ann "Honey" Lantree fasziniert gewesen sein - eine Frau an den Drums, das ließ sich natürlich wunderbar vermarkten.

The Honeycombs, 1964
(Foto: unbekannt)

Leider nahm die Sache eine in jeder Hinsicht unglückliche Wendung: Geoff Goddard verklagte Howard und Blaikley, da er in Have I The Right seine eigene Komposition Give Me The Chance wiederzuerkennen glaubte und ein Plagiat vermutete (ob zu Recht oder nicht, kann leider nicht geklärt werden; siehe dazu auch hier). Meek, der Howard und Blaikley in jedem Fall halten wollte, ließ jedoch keinen Zweifel daran, dass er sich vor Gericht auf deren Seite stellen werde. Daraufhin zog Goddard die Klage zurück, sprach danach aber kaum mehr ein Wort mit Meek.

Kurze Zeit später stellten Howard und Blaikley Meek zwei weitere Bands vor, die sie ebenfalls entdeckt hatten: The Preachers und eine Bierzeltcombo namens Dave Dee & The Bostons. Meek hielt beide Bands für wenig erfolgversprechend, mit letzterer kam er auch deshalb nicht klar, weil sie sich seiner Speed-up-Methode nicht anpassen konnte oder wollte. Dave Dee (= David John Harman, 17. Dezember 1941 - 9. Januar 2009) selbst hat 2007 im Interview mit Heinz-Günther Hartig seine Erinnerung an die Session bei Meek geschildert:

Dave Dee: Er hat uns aus dem Studio geworfen. Er mochte Tich nicht. Howard und Blaikley, unsere Manager, hatten gerade einen Nummer-1-Hit mit Have I The Right von den Honeycombs. Wir waren die zweite Band, die sie managten, wir hießen noch Dave Dee & The Bostons. Sie schickten uns zu Meek, um den Song Strange Things Happen aufzunehmen. Also lernten wir das Stück und reisten von Salisbury nach Islington, zur Holloway Road, wo eine Treppe hoch sein Studio war. Wir haben alles hochgeschleppt. Er fing an, uns aufzunehmen und wollte, dass wir alles in sehr langsamem Tempo spielen. Wir sagten: "So können wir das nicht spielen". Er drehte förmlich durch und schrie: "So mache ich meine Platten!" Was er tat, war folgendes: Er ließ langsam spielen und ließ das Band dann schneller laufen. So hat er den Joe-Meek-Sound erreicht. Aber wir waren eine Live-Band und konnten einen Song nicht ohne das richtige Feeling dafür spielen. Ich bin froh, dass wir das nicht gemacht haben. Es war ein wenig wie Have I The Right, sehr nahe an dem Song.
Hartig: So ist der Songtitel wahr geworden?
Dave Dee: Strange Things Happen, ja. Am Ende schmiss er ein Tablett mit Kaffeetassen in den Raum und verschwand eine Treppe höher. Er schickte seinen kleinen Jungen [gemeint ist Meeks Studioassistent] runter, der dann sagte: "Mr. Meek wird heute keine weiteren Aufnahmen machen! Sie können packen und nach Hause gehen!"

Dave Dee, ca. 2007
(Foto: Rock 'n' Roll Musikmagazin)

Ken Howard und Alan Blaikley trennten sich daraufhin postwendend von Meek und machten sich als Produzenten selbständig. Sie steckten die Band in schreiend bunte Klamotten und verpassten ihr den Irrsinnsnamen "Dave Dee, Dozy, Beaky, Mick & Tich". Unter der weiteren Regie von Howard und Blaikley legte die Band zwischen 1965 und 1969 eine denkwürdige Sequenz von Bestsellern hin, angefangen mit You Make It Move; die folgenden Hits Hold Tight, Bend It, Save Me und The Legend Of Xanadu sind noch heute regelmäßig auf Oldiesendern zu hören; letzterer wurde ein Nr.-1-Hit in England.

Aus den Preachers übrigens wurden später The Herd; an Dave Dee & Co gemessen nicht unbedingt Chartstürmer, aber keineswegs erfolglos. Mit ihnen startete der Gitarrist Peter Frampton seine Karriere, die ihn in den siebziger Jahren weltweit bekannt machte.

Ken Howard und Alan Blaikley wurden eines der erfolgreichsten Songschreiber- und Produzententeams der britischen Popgeschichte bis weit in die siebziger Jahre hinein. Und noch mit angelegten Ohren kann man ihren Produktionen anhören, bei wem sie in die Schule gegangen waren.

 

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Quellen s. Teil 13


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last update: Aug 20, 2010