Joe Meek - ein Portrait Teil 13: Nachher( here!)
Was wäre, wenn ...? Die Frage ist natürlich müßig, aber Spekulieren ist ja erlaubt: Hätte Meek nicht seiner Hauswirtin und sich selbst das Leben genommen und hätte er die Tablettensucht überwunden - welche Zukunft hätte ihm dann wohl bevorgestanden? Mit Sicherheit hätte er nicht einfach weitermachen können wie bis dahin. Sein Job in den Abbey-Road-Studios, hätte er ihn angenommen, würde vielleicht einige Monate funktioniert haben, spätestens dann aber wäre er vermutlich wieder mit allen Kollegen und Chefs überkreuz gewesen, hätte das Handtuch geworfen und wäre in die Selbständigkeit zurückgekehrt. Die Umstellung seines Studios auf 8- bzw. 16-Spur-Stereoproduktion wäre dann unabdingbar gewesen. Auch ein Umzug in neue Räume hätte wohl über kurz oder lang angestanden - Popmusik konnte man in 304 gerade noch aufnehmen, ausgewachsene Rockgruppen schon aufgrund ihrer Lautstärke nicht. Aber wer weiß, vielleicht wäre alles auch ganz anders gekommen. 1968 nämlich machte eine neue Entwicklung von sich reden: der Synthesizer. Die Musikproduktion mit diesem neuen Instrument, davon kann man mit Sicherheit ausgehen, würde Meek geradezu elektrisiert haben. Garantiert hätte er zu den Ersten gehört, die bei dem US-Ingenieur Robert Moog ihr Exemplar bestellt hätten. Bob Moog mit seinem Modular-55-Synthesizer Der Moog-Synthesizer in Verbindung mit der Multispur-Studiotechnik und weiteren Entwicklungen wie etwa Rhythmusgeräten und Sequencern: Das wäre für Meek ein komplett neues Betätigungsfeld gewesen, das seiner klanglichen Phantasie praktisch keine Grenzen mehr gesetzt hätte. Noch dazu hätten sich der Synthesizer und Meeks gesamte Denk- und Produktionsweise auf geradezu ideale Weise ergänzt. Wer weiß, vielleicht wäre der erste Synthiepop-Hit dann nicht Popcorn gewesen (geschrieben und erstmals eingespielt 1969 von Gershon Kingsley), sondern eine Meek-Komposition. Die hätte er mit Hilfe eines einzigen Assistenten einspielen können. Und mit einem solchen Hit wäre er dann plötzlich wieder ein Pionier gewesen, ein Pionier des Elektropop diesmal. Aber wie gesagt, die Frage ist müßig ...
Karrieren ... Joe Meeks Tod bedeutete für etliche Musikerkarrieren das Aus. Es ist nicht möglich, sie alle nachzuzeichnen - einerseits, weil es zu viele wären, andererseits aber auch, weil etliche von Meeks Sängern und Bands Phantasieprodukte waren. Hier sind aber immerhin einige der echten: Heinz Burt (*24. Juli 1942 in Detmold als Heinz Henry Georg Schwarze) bekam trotz aller Bemühungen nie wieder ein Bein auf die Erde. Zwar spielte er 1972 das Konzert seines Lebens, als er neben Bo Diddley, Jerry Lee Lewis, Little Richard, Bill Haley und Chuck Berry vor 80.000 Zuschauern im Londoner Wembley-Stadion auf der Bühne stand, danach aber kam nicht mehr viel. Als Solist, mit den Tornados oder mit Screaming Lord Sutch graste er Seebäder und Nostalgiefestivals ab. Er ging in Manchester mit einem eigenen Musikclub pleite, nahm einen Job als Automechaniker bei Ford in Dagenham an, hatte zusehends mit Alkoholproblemen zu kämpfen, erkrankte in den Achtzigern an Multipler Sklerose (andere Quellen sagen Amyotrophe Lateralsklerose, ALS) und war auf den Rollstuhl angewiesen. Man sagt, dass er seine eigenen Platten nicht besaß und auch nie den Versuch unternahm, sie zu bekommen. Er war zweimal verheiratet und hat einen Sohn. In einer Stellungnahme zu Nick Morans "Telstar"-Film sagte seine erste Ehefrau Della in einem Zeitungsartikel von 2009, Heinz sei "definitiv nicht schwul" gewesen, habe Joe Meek, der Heinz' "Karriere manipuliert" habe, auch "nicht besonders gemocht" und eigentlich gar nicht in 304 wohnen wollen. Es bleibt ihr Geheimnis, weshalb er es dann trotzdem drei Jahre lang dort ausgehalten hat. In Heinz' eigenen Worten jedenfalls klang das noch 1967 anders: "Joe Meek made me. He found me working in a shop and made me a star." - Nach dem Scheitern seiner zweiten Ehe verbrachte Heinz seinen letzten Lebensabschnitt bei seiner Mutter in Hampshire. Heinz Burt verstarb am 7. April 2000 mit 57 Jahren an den Folgen eines Schlaganfalls. Er hinterließ 18 Pfund in bar. Heinz & The Wild Boys - das letzte Lineup, August 1966 bis Ende 1967: Malvin Van Gelderen, Cliff Franks, Heinz, Trevor Franks and Barry Franks (v.l.n.r.) Heinz, Mitte 1990er Jahre Die Gemeinde Eastleigh (bei Southampton), wo er seit seinem 7. Lebensjahr gelebt hatte, benannte eine Straße nach ihm: Heinz Burt Close (hier) - eine Sackgasse.
Heinz Burt Close David Malcolm "Dave" Adams (*1938 in Saint Helier, Jersey) war von 1957 bis zu Joe Meeks Tod im Jahr 1967 dessen rechte Hand und eine der treuesten Seelen in seinem Umfeld. Als gelernter Zimmermann baute er die Studioeinrichtung in der Holloway Road 304, als Musiker war er - neben Geoff Goddard - derjenige, der die brauchbaren Ideen aus Meeks schrägen Demogesängen herausschälte. Für etliche von Meeks stimmschwachen Sangessternchen wie Iain Gregory, Andy Cavell oder George Chakiris sang er sogenannte "guiding vocals" auf das Backing-Tape, denen diese dann nur noch folgen mussten, und nicht selten hört man ihn besser als den Sänger, dessen Name auf dem Label steht. Mit seiner Schwester Marion Joy Adams bildete Dave ein Gesangsduo namens zunächst The Kids, dann Joy & David, später Joy & Dave. Auch der ältere Bruder der beiden, Brian, genannt "Chick" tauchte gelegentlich auf Meek-Aufnahmen auf. Joy Adams beendete ihre Karriere bald darauf zwecks Heirat und trat nur noch sporadisch in Erscheinung. Dave Adams versuchte sich unter dem Pseudonym Burr Bailey als Country-Sänger. Der Erfolg war mäßig, außerdem dauerte es nicht lange, bis der "Record Mirror" das Pseudonym lüftete und Dave Adams die Lust an diesem Projekt verlor. Auch unter dem Pseudonym Silas Dooley Jr liegen einige Einspielungen vor, die aber aufgrund ihrer seltsamen Texte zu Meeks Lebzeiten nicht veröffentlicht wurden. Daneben blieb er aktiv als Studiomusiker und gehörte zeitweilig zu den Wild Boys, der Backing-Group von Heinz.
Dave Adams, damals und heute Dave Adams' professionelle Musikerkarriere endete mit Meeks Tod. Mit seiner Familie lebte er in Buffalo, NY, war mit seiner Band U.S. Connection musikalisch aktiv; seine Tochter Dee Adams ist als Country-Rock- und Jazzsängerin ebenfalls in der Szene unterwegs. Dave Adams hatte vor einiger Zeit begonnen, eine Autobiographie zu schreiben, und da er zu den wenigen Leuten gehört, die Meek wirklich gut gekannt haben, hätte man darauf gespannt sein dürfen - aber er konnte sie nicht mehr fertigstellen: Dave Adams verstarb im März 2016 in seiner Wahlheimat. Glenda Collins (*16. Dezember 1943) hatte in den Jahren 1960/61 drei langweilige Singles für Decca aufgenommen, bevor sie zu Meek kam. Dieser produzierte acht Singles mit ihr, und es ist ein Vergnügen besonderer Art, zu verfolgen, wie die Sängerin von einer Platte zur nächsten sicherer und besser wird. Sie hatte nicht das Format etwa einer Dusty Springfield, den Vergleich mit ihren damals populären Kolleginnen Petula Clark, Sandie Shaw oder Lulu brauchte sie aber keineswegs zu scheuen. Einige ihrer Songs sind einfach großartige Popmusik; es ist schwer zu fassen, dass ihr mit keiner einzigen ihrer Platten ein Hit vergönnt war. Glenda Collins muss zu den letzten Künstlern gehört haben, mit denen Meek Ende 1966 noch Aufnahmen gemacht hat. Es existieren vier halbfertige Produktionen, die Teil einer LP werden sollten, und alle vier sind von elektrisierender Power. Begleitet wird sie von The Riot Squad (mehr über diese Band weiter unten), auch Ritchie Blackmore ist auf einer der Aufnahmen zu hören. Glenda Collins hat nach Meeks Tod ihre Karriere beendet, einen Job als Sekretärin angenommen und später beklagt, dass dies ihr größter Fehler gewesen sei. Da mag sie wohl recht haben. Sie heiratete einen Rabbiner und sang nur noch für Hochzeiten, Bar-Mitzwa- und andere religiöse Privatfeiern. Ein angeblicher Comebackversuch als Cabaret-Sängerin in den achtziger Jahren blieb, sollte er tatsächlich stattgefunden haben, offenkundig erfolglos. Ihr bislang letztes Lebenszeichen sandte Glenda Collins im Jahre 1999 mit dem Titel Avenues And Alleyways, den sie für ein Retropop-Album namens "Cult Themes From The Seventies, Vol. 2" aufnahm. Eine im Rahmen dieses Projektes geplante Tournee scheiterte daran, dass sich keine Live-Band finden ließ. David Edward "Screaming Lord" Sutch (*10. November 1940 in Hampsted, London), der in Joe Meek fraglos den einzigen wirklich kongenialen Produzenten für seinen vergnüglichen Horror-Unsinn gefunden hatte, war auf der Bühne die klassische "Rampensau", konnte virtuos und voller Schlagfertigkeit mit der Presse und dem Fernsehen spielen und trat mit liebenswerter Hartnäckigkeit immer wieder als Spitzenkandidat seiner "Official Monster Raving Loony Party" zu den britischen Unterhaus- und Europawahlen an ("Vote for insanity - you know it makes sense!"). Außerdem war er an der amerikanischen Verstärkerfirma Marshall beteiligt. Aber es gab auch eine dunkle Seite. Zeitlebens wurde Sutch von Depressionen gequält, es gelang ihm niemals, sich von seiner Mutter zu lösen oder damit aufzuhören, unsinniges Zeug zu horten. Und künstlerisch blieb er stehen. Seine wenigen Plattenaufnahmen nach Meeks Tod kann man im wesentlichen vergessen, offenkundig war er auch unfähig, sein Repertoire und seine Bühnenshow auf dem Stand der Zeit zu halten. In den achtziger Jahren bekam er noch dazu wegen seines Titels Jack The Ripper Ärger mit Teilen der englischen Frauenbewegung: Aus nicht erfindlichen Gründen nahmen etliche Frauen das Stück, das immer noch der Höhepunkt seiner Bühnenshow war, für bare Münze und empörten sich über die vermeintliche "Hommage". Das führte wiederholt zu Tumulten, Konzertabbrüchen und Angriffen auf Sutchs Person. Seine letzten Liveauftritte in den neunziger Jahren - es liegen einige Mitschnitte auf DVD vor - machen einen verwahrlosten Eindruck und lassen den Zuschauer eher traurig zurück. Am Ende sah Seine Lordschaft keinen anderen Weg mehr als sich in seinem zugemüllten Haus zu erhängen - wohl gerade noch rechtzeitig, um nicht im "Dschungelcamp" oder vergleichbaren TV-Shows enden zu müssen. Sein Tod am 16. Juni 1999 war sogar den ARD-"Tagesthemen" einen Korrespondentenbericht wert. Sutch hinterließ seine Freundin und einen Sohn. Geoff Goddards Schicksal nach Meeks Tod war eher seltsam. Zunächst arbeitete er kurzfristig mit Cliff Richard zusammen; sein Song My Head Goes Around erschien 1969 auf dessen Album "Tracks And Grooves", doch es sollte sein letzter veröffentlichter Song bleiben. Goddard kam mit Richard (bzw. dessen Produzenten) nicht klar und hängte 1972 schließlich die Musikerexistenz an den Nagel. Er ging zurück in seinen Geburtsort Reading und fand einen Job an der dortigen Universität: als Putzhilfe in der Mensa. Man mag das schwer fassbar finden, aber er ist diesen Schritt bewusst und freiwillig gegangen und hat sich nie über seine Situation beklagt. Er zog sich nicht eigentlich zurück, er machte auch kein Geheimnis aus seiner Vergangenheit und freute sich, wenn jemand ihn oder seine Songs kannte, aber aktiv wollte er mit der Musikszene nichts mehr zu tun haben. Anders als einige andere Meek-Acts fiel Goddard aber nicht in die Verarmung, denn er war der Komponist des Instrumentals Jungle Fever, das sich als B-Seite der Telstar-Single weltweit millionenfach verkaufte. Auch später sind ihm immer wieder einmal Tantiemen zugeflossen, nicht zuletzt durch seine Komposition auf dem Cliff-Richard-Album. Auch Just Like Eddie brachte ihm noch einmal Geld, als das Stück für eine Fernsehwerbung parodiert wurde: Just Like Shreddies. Zudem verkaufte 1985 seine Komposition Johnny Remember Me in einer Coverversion mit Marc Almond & Bronski Beat nochmals 300.000 Platten und erreichte die Top 10 - und brachte Goddard, der die aktuellen Hitlisten schon lange nicht mehr verfolgte, zu seiner riesigen Überraschung eine Platin-Platte ein. Geoff Goddard verstarb am 15. Mai 2000 in Reading mit 62 Jahren an Herzversagen. (Ein Kurzportrait und eine Liste seiner Kompositionen finden Sie hier.) The Riot Squad war eine der diversen unterschätzten Bands aus Joe Meeks Werkstatt, denen aufgrund von Marketingfehlern oder einfach durch Pech nie der Durchbruch gelang, obwohl das Potenzial durchaus vorhanden war. Zu ihrer ersten Besetzung gehörten der Drummer John "Mitch" Mitchell, ebenso Graham Bonney (= Graham Bradley), der später in Deutschland als Schlagersänger Karriere machte. Als die Band Ende 1965 einen Vertrag mit Meek abschloss, waren jedoch beide bereits nicht mehr dabei. Meek ließ die Band ihre Songs weitgehend selbst schreiben und räumte ihr große Freiräume ein, ohne einzugreifen. Der Sound der Riot Squad bewegte sich irgendwo zwischen Dave Dee, Dozy, Beaky, Mick & Tich und der Spencer Davis Group und gehörte deutlich zum besten, was Meek in seinem letzten Lebensjahr noch produziert hat. Hört man insbesondere I Take It That We're Through und It's Never Too Late To Forgive, kann man nur rätseln, weshalb diese Platten nicht abhoben. Nach Meeks Tod lebte die Band hauptsächlich von Liveauftritten als Backing-Band diverser Sänger. Sie wechselte ihre Mitglieder nun am laufenden Band aus, unter anderem gehörte acht Monate lang David Bowie zur Gruppe. Weitere Platten hat The Riot Squad nicht mehr aufgenommen, 1968 löste sich die Band endgültig auf. Einige Musiker aus Meeks Umfeld fanden rechtzeitig den Absprung aus der Erfolglosigkeit und fielen dadurch nicht ins Leere: Don Charles (= Walter Scuffham, *10. Dezember 1933) war sicherlich einer der begabtesten Sänger, die Meek unter Vertrag hatte, seine Stimme prädestinierte ihn für sanfte Balladen, doch der Durchbruch blieb beharrlich aus. So gründete er 1964 eine eigene Musikproduktionsfirma, später tat er sich mit dem Entertainer Rolf Harris zusammen und eröffnete mit diesem einen Nachtclub auf Malta. Nach der Pleite des Clubs wurde er ein erfolgreicher Gebrauchtwagenhändler. Don Charles war viermal verheiratet. Er starb am 4. Dezember 2005 an den Folgen eines Schlaganfalls. John Leyton (*17. Februar 1939 in Frinton-on-Sea, Essex) wurde durch seine großen Erfolge Johnny Remember Me und Wild Wind zeitweise zum bestbezahlten Sänger Englands. Er machte noch etliche weitere Singles, ab Mitte 1962 formal wieder unter der Regie seines ursprünglichen Entdeckers Robert Stigwood, wenngleich RGM Sound de facto weiter die Produktionsfirma blieb. Ab 1963 ging Leytons Erfolg als Sänger allmählich zurück; der Versuch, ihn mit einer Backing-Band namens The LeRoys beatkompatibel zu machen, ging schief. Leyton war klug genug, das zu erkennen und sich auf sein eigentliches Fach, die Schauspielerei, zurückzubesinnen. Er gehörte zwar nie zu den ganz Großen, aber er war auf der Leinwand an der Seite von Frank Sinatra, Steve McQueen, Mia Farrow oder James Garner zu sehen und konnte seine Popularität in Großbritannien bis heute bewahren. Er tritt auch heute noch gelegentlich als Sänger auf, meint das aber wohl nicht allzu ernst. Michael "Mike" Preston (= Jack Davies, *14. Mai 1938 in Hackney, London), zunächst Boxer, stieg nach einigen mehr oder weniger erfolglosen Plattenveröffentlichungen auf die Schauspielerein um und wurde darin deutlich erfolgreicher als in der Musik. Er spielte u. a. in "Mad Max 2", "Metalstorm - The Destruction Of Jared-Syn" und den TV-Serien "Fame" und "Highlander". Andere Musiker agierten nach Meeks Tod erfolgreich weiter in der Musikbranche: Carter & Lewis formierten The Ivy League, aus denen wiederum The Flowerpot Men wurden. Diese gingen 1967 als klassisches "One Hit Wonder" mit Let's Go To San Francisco in die Popgeschichte ein. John Carter (= John Shakespeare, *20. Oktober 1942 in Birmingham) war der Sänger des Welthits Winchester Cathedral mit der New Vaudeville Band (1966); da er aber keine Tourneen machen wollte, zog er sich aufs Songschreiben zurück. Einige große Hits aus seiner Feder waren Knock Knock Who's There? mit Mary Hopkin (1970), Dreams Are Ten A Penny mit Kincade (1973) und Beach Baby mit First Class (1974). Unter seinem wirklichen Namen schrieb Carter Filmmusiken, außerdem war er als Komponist von Werbejingles aktiv. Ken Lewis (= Kenneth James Hawker, *3. Dezember 1942 in Birmingham) schrieb zunächst weitere Songs zusammen mit Carter, unter anderem Is It True? für Brenda Lee und den U.S.-Nummer-1-Hit Can't You Hear My Heartbeat für Herman's Hermits (1965). Ken Lewis erkrankte später an Depressionen und zog sich 1971 ins Privatleben zurück. Meeks nordenglischer Cowboy Houston Wells (= Andrew Smith, * offiziell 1938, tatsächlich aber wohl 1932 oder 1933 in Northumberland) hatte mit 14 die Schule verlassen und sich drei Jahre lang als Holzfäller verdingt, bevor er 1957 als Angehöriger der Handelsmarine im kanadischen Vancouver strandete. Dort lernte er die Country & Western-Musik kennen und lieben. Sein Pseudonym ist zusammengesetzt einerseits aus der texanischen Stadt Houston und andererseits Wells Fargo, dem ersten Postkutschendienst Amerikas zur Zeit des großen Goldrausches. 1958 kehrte er nach England zurück, um sich um seine pflegebedürftigen Eltern zu kümmern. Er arbeitete als LKW-Fahrer und tingelte mit The Coasters (nicht identisch mit der amerikanischen Band gleichen Namens) über die Dörfer. Der Musikverlag Southern Music empfahl ihn an Joe Meek, der eine heimliche Liebe zur Country-Musik hatte. Allerdings war er nur an Wells interessiert, nicht an der Band. - Die meisten Aufnahmen, die Meek mit Wells machte, sind Mainstream-Country und können sich absolut hören lassen; Wells hatte eine gute Stimme und beherrschte die typische Country-Intonation, und mit Only The Heartaches stieg er im Mai 1963 immerhin bis auf Rang 22 der Charts. Leider blieb dies sein größter Erfolg, obwohl Meek sogar eine LP mit ihm produzierte. Der Song North Wind vom Dezember 1962 ist eine der definitiv besten Einspielungen, die Meek überhaupt je produziert hat - ein Todessong, der wirklich alles enthält, was man als Meek-typisch bezeichnen kann, und dass er auf einer B-Seite landete, dürfte als eine von Meeks ärgerlichsten Fehlentscheidungen in Erinnerung bleiben. - 1964 schließlich löste Wells seine Band, The Marksmen, auf, ihre Mitglieder gingen in ihre früheren Berufe zurück. Meek stellte ihm statt dessen seine hauseigenen Outlaws sowie "Big" Jim Sullivan und verschiedene andere Studiomusiker zur Seite, aber nennenswerte Erfolge wollten sich nicht mehr einstellen. Einige der Aufnahmen aus dieser Zeit blieben sogar unveröffentlicht. Houston Wells zog mit seiner Familie nach Irland, wo er mit The Masters und später mit The Premier Aces zusammenarbeitete. 1968 gründete er die Trident Showband, mit der er unermüdlich durch die Clubs tourte, was ihm sogar noch einmal einen Sprung in die (irischen) Charts einbrachte. - 1974 schließlich wanderte Wells nach Neuseeland aus. Er gelangte in der dortigen Countryszene zu einiger Bekanntheit, auch seine Söhne wurden Musiker. Houston Wells verstarb im Januar 2014 nach langer Krebskrankheit. Auch Meeks stimmliche Buddy-Holly-Reinkarnation Mike Berry (= Michael Hubert Bourne, *24. September 1942 in Northampton) ist bis heute als Musiker aktiv. Aufgrund seines Talents, Stimmen und Gesangsstile zu imitieren, dürfte hinter diversen Namen auf Meekschen Plattenetiketten in Wahrheit er stehen. In den Mittsiebzigern entdeckten holländisch-belgische Radiopiraten Mike Berry wieder und verhalfen ihm zu einigen Hits in diesen Ländern, mit einem Remake seines Meek-Hits Tribute To Buddy Holly erreichte er im Oktober 1975 Platz 2 in den Niederlanden. In den späten Siebzigern gelang ihm der Sprung auf das Polydor-Label. 1979 erregte er dann einiges Aufsehen, als er den einzigen Song aufnahm, den Buddy Holly nachgelassen und nicht selbst eingspielt hatte: Stay Close To Me. Buddy wäre mit dem Ergebnis wohl zufrieden gewesen. Daneben trat Mike Berry auch als Schauspieler in Erscheinung, u.a. sah man ihn in der TV-Serie "Are You Being Served?". 1980 gelangen ihm zwei weitere Hits in England: The Sunshine Of Your Smile (Chartposition Rang 9) und If I Could Only Make You Care (Rang 37). 2004 schließlich erfüllte sich ein Wunschtraum Mike Berrys: In Nashville ergab sich für ihn die Gelegenheit, eine CD mit Buddy Hollys Original-Crickets einzuspielen. Derzeit befindet sich Mike Berry nach schwerer Krankheit auf dem Weg der Besserung. Auf die Karrieren Ritchie Blackmores, Jimmy Pages und Mitch Mitchells († 12. November 2008) muss nicht gesondert hingewiesen werden. Der Tornados-Drummer Clemente Anselmo "Clem" Cattini (*28. August 1937 in London) wies das Angebot ab, in eine Gruppe einzusteigen, in der auch Jimmy Page spielte und die dann später unter dem Namen Led Zeppelin bekannt wurde. Letztlich hatte er wohl Recht damit - man kann ihn sich wirklich nur schwer als Hardrocker vorstellen. Statt dessen wurde er ein gern und viel gebuchter Sessionmusiker. Er trommelt auf über 150 Popmusiktiteln, darunter 45 Nummer-1-Hits u. a. von T. Rex, Dusty Springfield, Donovan, Barry Ryan, Tony Christie, den Bay City Rollers, den Walker Brothers, den Kinks und Hot Chocolate. Zudem betrommelte er etliche britische Beiträge zum Eurovision Song Contest. Ted Fletcher arbeitete als Sessionsänger und als Mitglied der Cameos in den Jahren 1963 bis 1965 mit Meek zusammen und gründete später eine Firma, die noch heute Equalizer, Kompressoren und andere Musikelektronik herstellt. Wenn auch Meek selbst nichts mit der Firma zu tun hatte, so trägt sie ihm zu Ehren doch seinen Namen: Joemeek Ltd. Und Meeks Geschäftspartner? Sein Teilhaber an Triumph Records, William H. Barrington-Coupe (*1931) wanderte 1966 wegen Steuerbetrugs für ein Jahr in den Bau. Danach kehrte er in die Plattenindustrie zurück: Er kaufte diverse kommerziell gescheiterte Klassik-Einspielungen auf, versah sie mit Orchester-, Dirigenten- und Interpretennamen, die seiner (durchaus bemerkenswerten) Phantasie entsprungen waren, und veröffentlichte sie auf seinem Billiglabel "Concert Artists" erneut (eine Praktik, die in der Klassikbranche nie unbekannt war und auch heute noch nicht ist). 2007 ging sein Name durch die Presse, als ein großangelegter Schwindel mit rund 100 CDs aufflog, die angeblich seine krebskranke Frau, die Pianistin Joyce Hatto, in nur zehn Jahren eingespielt hatte. Tatsächlich hatte sie aber nur eine einzige der CDs selbst eingespielt, für die anderen hatte Barrington-Coupe Aufnahmen von insgesamt 96 Pianisten zusammengeschnitten und am Computer so manipuliert, dass man die ursprünglichen Instrumentalisten nicht mehr erkennen konnte. (Meek hätte sich über dieses musikalische Wunder wahrscheinlich diebisch amüsiert ...) Joe Meeks Geschäftspartner Wilfred Alonzo "Major" Banks (*24. September 1913 in Barrow, Suffolk) blieb nach seinem Ausscheiden aus der Firma RGM Sound als Unternehmer und Unternehmensberater in verschiedenen Branchen aktiv; seine letzte Firma hieß Metalcraft Ltd. Der Major verstarb am 29. Mai 1983 in Penryn, Cornwall.
304 Holloway Road
1990 2006 2008 2009 August 2010 304 Holloway Road Die Holloway Road sieht heute ein bisschen freundlicher aus als damals. Sie ist inzwischen zurückgebaut worden, der Wohnungs- und Ladenleerstand in der Gegend ist jedoch beträchtlich. Albert H. Shentons Lederwarengeschäft verschwand 1974 mit dem Tod seines Besitzers aus dem Haus mit der Nummer 304. Zunächst zog eine Bankfiliale ein, bis Ende 2007 residierte dort dann ein Fahrradladen, der nun in ein Nachbarhaus umgezogen ist. Meeks ehemalige Räume in den oberen drei Stockwerken waren jahrelang eine Privatwohnung, wurden dann in zwei Wohneinheiten aufgeteilt (304A und B) und zeitweilig als Unterkunft für Asylbewerber genutzt. Danach stand das Haus längere Zeit vollständig leer und rottete vor sich hin. 2009 ist zwar wieder ein Laden eingezogen, doch die oberen Stockwerke scheinen nach wie vor nicht genutzt zu werden. Wenn Sie die Umgebung erkunden möchten: Hier ist die Google-Streetview. 304 Holloway Road, Enthüllung der Joe-Meek-Gedenktafel, 1993
(Fotos: Jörg Richard) In leicht absurder Höhe, überschattet von einer Satellitenantenne (!), erinnert seit dem 29. August 1993 eine kleine Gedenktafel der Joe Meek Society an den "Telstar Man". Die Leute aus dem Fahrradladen pflegten zu erzählen, immer am 3. Februar höre man Joe durchs Haus trampeln. In dem Song North Wind, gesungen von Houston Wells (1962), gibt es eine Zeile, die Meek für seinen eigenen Grabstein geschrieben haben könnte: TELL ME I'M FORGIVEN NOW
(Foto: findagrave)
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Quellen für alle 13 Kapitel: Bevan, Nathan: Tom Jones' former bandmate recalls gun terror from legendary producer. In: WalesOnline.co.uk, 12. Juli 2009 Boyd, Joe: White Bicycles - Making Music in the 1960s. London 2006 Cleveland, Barry: Creative Music Production - Joe Meek's Bold Techniques. Vallejo, CA 2001 Daily Echo, Hampshire, wahrscheinlich 20. 0der 21. Juni 2009: Heinz - his wife's point of view Daily Mirror, 4. Februar 1967 Daily Mirror, Februar 1967 (Tagesdatum nicht bekannt) Davies, Russell: Holloway Dreams - The Joe Meek Story. BBC Radio 2; 6., 13. und 20. Februar 2007 Ehrig, Joachim Heinz (Eroc): The Spirit Of Joe Meek (or: How He Would Have Done It). In: Booklet zur CD "Telstar - The Complete Tornados", Repertoire Records 1998 Emerick, Geoff & Massey, Howard: Here, There And Everywhere - My Life recording the Music of the Beatles. New York 2006 Emerson, Ken: Always Magic in the Air - The Bomp and Brilliance of the Brill Building Era. New York 2005 Evening Standard, 3. Februar 1967 Greve, Bettina: Sternenhimmel. Polydor - Die Chronik einer deutschen Schallplattenmarke. Höfen 2001 Hartig, Heinz-Günther: Interview mit Dave Dee. In: Rock 'n' Roll Musikmagazin 1/2009 Hentschel, Joachim: The Beatles feat. Tony Sheridan. In: CD-Booklet, Polydor 06024982132-3; Hamburg 2004 Joe Meek Society Newsletter (verschiedene Ausgaben) Lebrecht, Norman: The Life And Death Of Classical Music, feat. the 100 Best and 20 Worst Recordings Ever Made. New York 2007 Lewens, Alan: The Very Strange Story Of The Legendary Joe Meek. "Arena", BBC 1991 Matheja, Bernd: 1000 Nadelstiche - Amerikaner & Briten singen deutsch 1955-1975. 3. Auflage, Hambergen 2007 McCready, John: Joe Meek. Nachzulesen lange Zeit hier, jetzt anscheinend nicht mehr online. Milner, Greg: Perfecting Sound Forever - An Aural History Of Recorded Music. New York 2009 Napier-Bell, Simon: Black Vinyl, White Powder. London 2002 New Musical Express, Februar 1967 Record Collector 69, Mai 1985, Seite 24-30: The Great Producers: The RGM Sound Of Joe Meek, Part 1 Record Collector 70, Juni 1985, Seite 34-40: The Great Producers: The RGM Sound Of Joe Meek, Part 2 Record Collector 134, Oktober 1990, Seite 26-29: Joe Meek Record Collector 186, Februar 1995, Seite 70-75: TheTriumph Label Record Collector 219, November 1997, Seite 50-54: The Joe Meek Legacy Record Collector 333, Februar 2007, Seite 28-37: Joe Meek - The Phil Spector Of Brit Pop, Part 1 Record Collector 333, Februar 2007, Seite 38-39: John Leyton - Johnny, Remember Me? Record Collector 334, März 2007, Seite 68-72: Joe Meek, Part 2 - The Freakbeat Years Record Collector 355, November 2008, Seite 26-28: Joe Meek and the legendary Tea Chest Tapes Repsch, John: The Legendary Joe Meek - The Telstar Man. London 2000 Ribowsky, Mark: He's A Rebel - Phil Spector. New York 2000 Sharpe, Graham: The Man Who Was Screaming Lord Sutch. London 2005 Singer, Mark: Fantasia for Piano - Joyce Hatto's incredible career. In: The New Yorker, 17. September 2007 Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland (Hg.): Melodien für Millionen - Das Jahrhundert des Schlagers. Bielefeld/Leipzig 2008 Thunderbolt (Magazin der Joe Meek Society), verschiedene Ausgaben Valentine, Penny & Wickham, Vicky: Dusty Springfield - Dancing With Demons. London 2000 Voss, Werner: Der Satellit aus der 4-Spur-Bandmaschine - Joe Meek und sein R.G.M.-Sound. In: Rock Session 2; S. 254-268; Reinbek 1978 Walter, Klaus: Joe Meek. In: Rolling Stone (Deutschland), Februar 2007, S. 80-85 Warhol, Andy & Hackett, Pat: Popism - The Warhol Sixties. Orlando, FL 1980 Wilson, John: Clem Cattini, Britain's record chart topper, keeps that backbeat going strong at 72. In: The Guardian, 28. März 2010 Wunnicke, Christine: Leben, Tod und Mysterien des fabelhaften Joe Meek. Bayrischer Rundfunk; 10. Mai 2002 Zahradnik, Andy: Ariola, oho, hier bin ich. 1958-2008 - Ein Reisetagebuch. München 2008
Und noch: Informationen von Garth Banks, Harald Bluschke, "Big Bopper", Roger Bruton, Clive Bubley, Robbie Duke a.k.a. Patrick Pink, Felix Hoffmann, Rob Humphreys, Robert W. Huxley, Thomas Meyer, Gerd Miller, Dieter Moll, Kim Pavey, Jörg Richard, Peter Robinson, Robb Shenton, Malvin Van Gelderen Archiv Harald Bluschke und Rock'n'Roll-Schallplattenforum
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