JOE MEEK


 

Joe Meek - ein Portrait

Teil 12: Die Teekisten - und was sonst noch bleibt

( here!)

 

New Musical Express, Februar 1967

 

Joe Meek wurde nur 37 Jahre alt. Der Tornados-Drummer Clem Cattini kommentiert: "It was dreadful, but without wishing to sound morbid, I couldn’t see Joe dying any other way. He was never going to die a natural death. I don’t think his success brought him any happiness …" - Screaming Lord Sutch, dessen Karriere ohne Joe Meek fraglos anders ausgesehen hätte, sagt: "I was amazed as well as shocked and sad when I heard all this, as I had always thought of him as a fabulously successful producer, and it never occurred to me he had no money and only rented his flat. He was a great man and is much missed."

Meek, der sich in dem Zeitungsausschnitt noch als "fairly rich man" beschrieb, besaß zum Zeitpunkt seines Todes gerade mal noch knapp 300 Pfund in bar, die seinem Testament folgend an die Erben gingen.

 

Die Teekisten

Und da sind die sogenannten "Tea Chest Tapes", auch "Teachest"- oder "t-chest"-Tapes genannt. Meek führte kein Archiv für seine bespielten Bänder, gleich, ob Mastertapes, Halbfertigprodukte oder Demobänder, er hatte auch keinen speziellen Lagerraum dafür. Damalige Besucher berichten, dass in der Holloway Road 304 auf jeder Treppenstufe mindestens fünf bis sechs Bandkartons standen, und wo immer sonst noch ein bisschen Platz war, türmten sich weitere Stapel. Meek selbst hatte anscheinend ein gutes Gedächtnis, das ihm erlaubte, durchs Chaos zu navigieren, aber irgendwann dürfte selbst er den Überblick verloren haben.

Zum Zeitpunkt von Meeks Tod lagerten im Haus rund 3000 Bänder mit ca. 5000 Aufnahmen. Diese hat der Nachlassverwalter in 67 Teekisten verpackt und zunächst in einer Abstellkammer untergebracht.

Sechzehn dieser Teekisten nahmen Meeks Bruder Eric und dessen Schwager an sich, davon gingen fünf als Spende an ein Waisenhaus, wo die Bänder als Leerbänder verwendet wurden. Die restlichen elf Kisten wurden im Haus von Meeks Bruder Arthur eingelagert und vergessen. So sind sie im Laufe der Jahre mitsamt ihrem Inhalt verrottet. Insgesamt wohl rund 1100 Aufnahmen sind auf diese Weise unwiederbringlich verloren gegangen.

In der Holloway Road verblieben noch 51 Kisten, deren Inhalt der Nachlassverwalter eigentlich hätte löschen lassen und verkaufen sollen. Doch er tat es nicht - vielleicht hat irgendeine Ahnung ihm gesagt, dass spätere Generationen den Wert dieses Lebenswerks möglicherweise einmal anders einschätzen könnten als seine eigenen (und Meeks) Zeitgenossen. Er verkaufte die 51 Teekisten samt Inhalt für 400 Pfund an Clifford Cooper, den Bassgitarristen der Millionaires - eine der letzten Bands, mit denen Meek noch Aufnahmen gemacht hatte; ihre Single Wishing Well wurde im August 1966 veröffentlicht und gehört zu jener Sorte von Platten, bei denen man sich fragt, weshalb sie gefloppt sind. Cooper, der 1968 die Verstärkerfirma Orange gründete, bewahrte die Bänder jahrzehntelang auf und packte sie von Zeit zu Zeit um, um sie vor dem Zerfall zu bewahren. Sie sind deshalb heute noch in gutem Zustand, die Teekisten selbst existieren allerdings inzwischen nicht mehr.

Im September 2008 schließlich entschloss sich Cooper aus Altersgründen, die Bänder in andere Hände abzugeben und beauftragte ein Auktionshaus mit ihrer Versteigerung. Der Verkauf scheiterte, da sich am Ende nur sieben Bieter fanden und der Ausrufpreis deutlich verfehlt wurde. Die Bänder liegen nun nach wie vor bei Cooper, und derzeit ist unklar, was er damit weiter vorhat.

Die T-Chest Tapes
(Foto: Alan Blackburn/BBC)

 

Was ist drin in den Teekisten?

Genau weiß das wohl nur Alan Blackburn, der frühere Vorsitzende der Joe Meek Society, der die Bänder in den achtziger Jahren durchgehört und katalogisiert hat. Seiner Aussage nach sind unveröffentlichte Mastertapes ebenso darunter wie Schnipsel mit Studiogesprächen, dazu eine große Zahl von Demosongs von Dave Adams und Geoff Goddard sowie etliche der zumeist grauslich anzuhörenden Kompositionsgesänge von Meek selbst. Ansonsten finden sich laut Blackburn in den Kisten plattenreif produzierte Aufnahmen von Mike Berry, Glenda Collins, Michael Cox, The Cryin' Shames, Heinz, den Honeycombs, John Leyton, den Outlaws, Screaming Lord Sutch und den Tornados. Diese Aufnahmen waren wohl zur Veröffentlichung vorgesehen.

Weiterhin befinden sich in den Teekisten angeblich Demo-Aufnahmen u. a. von Ray Davies, Georgie Fame, Jonathan King, Alvin Lee, Gene Vincent, Rod Stewart und Status Quo. In der Presse wurden besonders jedoch zwei Demos von David Bowie und seiner damaligen Band The Kon-Rads sowie von Tom Jones hervorgehoben (zwei kurze Ausschnitte sind hier zu hören).

Der Jones-Clip ist unüberhörbar echt, und die Beschleunigung der Stimme spricht dafür, dass in der Tat Meek die Aufnahme gemacht hat. Der Stimme nach dürfte auch der Bowie-Schnipsel authentisch sein, allerdings weist diese Aufnahme keinerlei Meek-typische Eigenarten auf, es lässt sich also nicht mit Sicherheit sagen, ob sie wirklich von Meek stammt.

Last, but not least soll auch ein Demo eines gewissen Mark Feld in den Teekisten gefunden worden sein. Der war damals (1963) 16 Jahre alt und gelangte später unter dem Namen Marc Bolan mit seiner Band T. Rex zu Weltruhm. Eine Acetatkopie dieses ziemlich schrägen Songs namens Mrs. Jones wird schon seit längerem als MP3-File im Web herumgereicht. Aber ist es wirklich Marc Bolan, der da singt? Zeitlich zumindest wäre es möglich. Die unten abgebildete Acetatplatte mit dem Song stammt aus dem Besitz von Dave Adams, er weiß aber nicht sicher, wer darauf zu hören ist. Wie die inzwischen leider geschlossene Website meeksville.com vor einigen Jahren höchst gewunden meldete, sollen sich leider nicht näher bezeichnete "langjährige Freunde und Angehörige" Bolans "in der Lage gesehen" haben, "fast sicher" zu "glauben", dass es Marcs Stimme sei - nun ja. Der "Record Collector" vom November 2008 schreibt Bolan die Aufnahme einerseits zu, erklärt aber andererseits im selben Absatz, dass es an ihrer Authentizität auch Zweifel gibt. Auch das ist nicht wirklich hilfreich. Und da außerdem Meek die Stimmen fast immer mittels Equalizer und/oder Geschwindigkeitsveränderung bearbeitet hat, sind die Zweifel so lange berechtigt, bis jemand einen wirklich stichhaltigen Beweis auf den Tisch legt.

Acetat "Mrs. Jones"
(Foto: Sammlung Dave Adams)

Klarheit über diese und andere Fragen könnten seriös nur Cliff Cooper und/oder Alan Blackburn schaffen, indem sie entsprechende Belege veröffentlichen - in Frage kämen etwa Fotos der von Meek beschrifteten Bänder oder Bandkartons, Bestätigungen durch die beteiligten Künstler oder ähnliches. Solange dies nicht geschieht, sind alle Aussagen und Behauptungen mit Vorsicht zu genießen.

 

Mehrere tausend Aufnahmen?

In manchen Artikeln las man, die Teekisten enthielten "mehrere tausend" Aufnahmen in passabler Tonqualität. Nun hat Joe Meek aber nicht mehr als sieben Jahre lang als unabhängiger Produzent im eigenen Studio gearbeitet. Das sind gerade mal rund 2500 Tage. Angesichts der über 700 Titel, die er in dieser Zeit tatsächlich produziert, nachbearbeitet, auf Platte veröffentlicht und promotet hat, muss man sich ernsthaft fragen, woher er da noch die Zeit genommen haben soll, eine derart ungeheure Zahl weiterer Aufnahmen zu machen. Das ist selbst dann, wenn es sich ausschließlich um Demos handeln würde, kaum vorstellbar.

Da zudem laut Blackburn die Beschriftung der Bänder teilweise unklar, unleserlich oder in einer noch nicht entschlüsselten Weise codiert ist, sei hier die Vermutung gewagt, dass es sich bei einem großen Teil der T-Chest-Tapes einfach um Demobänder handelt, die Meek damals von Bands, Managern und Künstleragenturen zugeschickt wurden. Diese mögen zum Teil durchaus interessant sein, von Meek wären sie dann jedoch nicht.

 

Stereo-Mixe und Extended Versions?

Alan Blackburn berichtet darüber hinaus von diversen "Extended Versions" und "Stereo-Mixen", die er in den Teekisten gefunden haben will. Was ist davon zu halten?

Meek hat so gut wie alle seine Aufnahmen in Mono veröffentlicht. Das war zwar kein "Dogma", aber Meek sah sich in erster Linie als Produzent von Singles, und die waren zu seinen Lebzeiten monaural. Sein Aufnahmeverfahren wurde im Kapitel 3 beschrieben. Bei dieser Methode entstehen mehrere Zwischenstufen, bevor eine Aufnahme komplett ist, und hört man sich diese Zwischenstufen auf einer Zweispur-Stereo-Maschine an, dann ergibt sich in der Tat eine Art Stereoeffekt. Dessen Kennzeichen ist immer die "harte" Kanaltrennung: Auf der einen Spur befindet sich üblicherweise das Instrumentalplayback, auf der anderen ein einzelnes hinzugefügtes Instrument oder der Gesang. Ein paar solcher Aufnahmen sind auf einigen Meek-CDs zu hören, überzeugend ist keine einzige. Das ist kein Wunder, denn - wie gesagt - diese Aufnahmen sind Zwischenstufen und waren in dieser Form noch nicht zur Veröffentlichung gedacht. Mit Sicherheit hat Meek aber viele dieser Bänder aufbewahrt, denn er hat immer mal wieder auf solche Aufnahmen zurückgegriffen, um neue Playbacks zu erstellen oder neue Sänger in alte Playbacks zu integrieren.

Diese Zwischenstufen dürften das Geheimnis der angeblichen "Stereo-Mixe" sein, und sie würden auch die immens hohe Zahl der angeblich vorhandenen Aufnahmen in guter Tonqualität erklären.

Und die "Extended Versions"? Wahrscheinlich gibt es sie gar nicht. Tatsächlich dürfte genau die umgekehrte Perspektive richtig sein: Meek wird etliche Einspielungen einfach "zu lang" aufgenommen haben, so dass er sie im Nachhinein auf akzeptable Single-Länge herunterkürzen musste.

Auf die Veröffentlichung jener Aufnahmen, die Meek sicher zugerechnet werden können und die akustisch brauchbar sind - wieviele nun immer es sein mögen - darf man in jedem Fall gespannt sein. Alan Blackburn schätzt, dass das Material mindestens zehn CDs füllen könnte. Das wären dann allerdings nicht "tausende" von Aufnahmen, sondern wohl ungefähr zwei- bis dreihundert. Damit kommen wir der wahren Anzahl brauchbarer Aufnahmen wahrscheinlich ziemlich nahe.

 

Einstweilen keine Veröffentlichung

Auf eine Veröffentlichung dieser Aufnahmen werden wir wohl noch eine Weile warten müssen. Zunächst sind umfangreiche urheberrechtliche Probleme zu lösen. Mit dem Kauf bzw. dem Besitz der Bänder ist kein Recht zu ihrer Verwertung verbunden; viele der Kompositionen sind niemals regulär als Platte oder Notendruck erschienen und dürfen deshalb nicht einfach ohne Genehmigung der Komponisten und Texter verwertet werden. Und die Demoaufnahmen waren in der vorliegenden Form überhaupt nie zur Veröffentlichung vorgesehen. Auch sie dürfen deshalb nicht ohne Genehmigung der beteiligten Künstler oder ihrer Rechtsnachfolger auf CD veröffentlicht werden.

Kurz und gut: Die Teekisten werden einstweilen ein beliebtes Spekulationsobjekt der Meek-Gemeinde bleiben. Hören können werden wir die Bänder wohl noch lange nicht. Und vielleicht ist das auch ganz gut so.

 

Was sonst noch bleibt

Die britische Music Producers Guild (MPG) hat einen jährlichen Innovationspreis nach Joe Meek benannt ("Joe Meek Award for Innovation in Production"); der erste Preisträger 2009 war der Musiker und Produzent Brian Eno, 2010 geht der Preis posthum an Les Paul.

Über Meek sind zwei Biographien geschrieben worden, verschiedene Radiofeatures und Dokumentationen wurden gesendet, es existieren zwei Dokumentarfilme, sein Leben wurde zu einem Bühnenstück verarbeitet, ein Spielfilm ist 2007 gedreht worden, wurde auf einem Festival 2008 uraufgeführt und erschien nach einigem juristischen Hickhack schließlich 2009 in den Kinos und auf DVD und wurde 2012 auch im Fernsehen gezeigt. Obwohl handwerklich sorgfältig gemacht, überzeugt der Film nur zum Teil - eine Dokumentation soll er ohnehin nicht sein, aber auch als Spielfilm ist er dramaturgisch nicht rundum geglückt. Anfang 2010 konnte man die DVD im Online-Handel bereits für wenig Geld im Ramsch finden.

 

Schwule Musik?

Fast alle, mit denen Meek beruflich zu tun hatte, wussten darüber Bescheid, dass er schwul war und/oder waren selbst ebenfalls schwul. Dass das tägliche Leben als Homosexueller in der damaligen Zeit nicht leicht gewesen sein kann, steht außer Frage. Homosexualität stand unter Strafe und wurde verfolgt, Erpressungen waren an der Tagesordnung. Eine halbwegs offene homosexuelle "Szene" im heutigen Sinne, wie man sie ansatzweise zu jener Zeit bereits in New York City finden konnte (vergleichbar vielleicht mit der Szene, wie sie im Berlin der zwanziger Jahre zumindest in Anfängen existierte), gab es in England nicht. Die restriktive Polizeipolitik sorgte dafür, dass Schwule und Lesben in der Öffentlichkeit unsichtbar bleiben mussten. Der Musiker Tom Robinson schrieb ins Gästebuch der Joe Meek Society: "Most gay and bisexual men pre-1967 had every reason to be fearful and paranoid." Eine schwule Szene, wenn man sie überhaupt so bezeichnen kann, gab es nur als "Sub-Subkultur" innerhalb geschlossener Zirkel, etwa in der Musik- oder der Kunstszene. Dort kannte man sich. Im normalen Alltag gab es nicht mehr als ein paar Smalltalk-Redewendungen und Kleidungscodes, an denen sich Schwule und Lesben erkennen konnten, aber das war alles.

Meek immerhin hatte das (relative) Glück, in dem Umfeld, in dem er arbeitete, aus seiner Homosexualität kein großes Geheimnis machen zu müssen, außerdem war er sein eigener Chef.

Daraus nun allerdings zu schließen, Joe Meek habe "schwule Musik" produziert, wie dies etwa der "Rolling Stone" 2007 in die Debatte warf, ist deutlich zu hoch gegriffen. Es haben sich bereits etliche Autoren, Filmer oder Journalisten und auch Fans schon alle Mühe gegeben, "schwule Texte" oder gar einen "Coming-out-Song" auszumachen. Regelmäßiger Kandidat ist etwa der Song Hobbies, 1963 mit Jenny Moss produziert, in dem von "boys, boys, nothing but boys" die Rede ist. Leider nur hat Meek diesen Song gar nicht geschrieben. Außerdem wird er von einer Frau gesungen. Wo da ein Coming-out stecken soll, bleibt ein Rätsel. Aber auch in Songs, die Meek tatsächlich geschrieben hat, ist nichts in dieser Richtung zu holen. Wer seine Produktionen unter diesem Aspekt durchhört, stößt zwar gelegentlich auf autobiographische Hinweise, Ängste und Träume - hört man etwa den schon erwähnten Song Loneliness (gesungen von Mike Berry, Dezember 1962), muss man schon sehr auf den Ohren sitzen, um nicht zu merken, von wem der Text erzählt. Es gäbe weitere Beispiele; etwa Please Let It Happen To Me, im Dezember 1963 mit Jenny Moss eingespielt; Poor Joe, 1962 mit Carter, Lewis & The Southerners produziert, oder das 1965 mit den Honeycombs realisierte Not Sleeping Too Well Lately. Aber keiner dieser Songs hat einen Bezug zur sexuellen Identität seines Autors; Meeks Texte, wenn sie sich nicht gerade um den Sensenmann oder außerirdische Besucher drehen, verlassen kaum jemals den Rahmen des Allerweltsschlagers.

Es gibt nur eine einzige Meek-Produktion, mit der er sich tatsächlich weit aus dem Fenster lehnt: die Tornados-B-Seite Do You Come Here Often? vom August 1966; eine zickige Orgel-Shufflenummer, in deren Mittelteil ein kurzer Smalltalk zweier Männer in einer Bar zu hören ist (einer davon ist Meek selbst, klar erkennbar). Dieser "Smalltalk" ist aber nicht so harmlos wie man zunächst glauben könnte - er besteht nämlich aus einer durchaus clever arrangierten Aneinanderreihung genau solcher "Code-Redewendungen", wie sie oben erwähnt wurden. Jeder Eingeweihte wird sie damals sofort zu deuten gewusst haben, allen Nichteingeweihten dürfte das Gespräch rätselhaft geblieben sein.

Welchen Sinn mag diese Platte gehabt haben? War sie ein klares Statement Meeks an die Öffentlichkeit? Oder war sie einfach ein Ventil, um nach dem Stress der zurückliegenden Monate etwas Dampf abzulassen? Diese Frage lässt sich heute nicht mehr seriös beantworten. Fest steht lediglich eines: Im England des Jahres 1966 hätte Meek keine Möglichkeit gehabt, deutlicher zu werden als er es hier tat - er musste mit dem, was er sagte, sozusagen das offizielle Radar unterfliegen, um sich nicht noch mehr Ärger einzuhandeln als er ohnehin schon hatte.

 

Potenzielle Hitbands, die Beatles und das Amphetamin

Mehr als einmal hat Joe Meek potenziellen Hitbands die Tür gewiesen. Das Beispiel Dave Dee, Dozy, Beaky, Mick & Tich wurde bereits genannt, und nach allem, was wir wissen, hat Meek wohl auch die Beatles abgewiesen. Dadurch, dass das immer wieder betont und in Biographien hervorgehoben wird, soll offenbar wiederum Meeks wirrer Geisteszustand beschrieben oder er selbst als halbirres Unikum gekennzeichnet werden.

Dazu besteht aber gar kein Anlass, denn Entscheidungen dieser Art sind nichts Besonderes. Fehleinschätzungen waren und sind in allen Plattenfirmen und Verlagen an der Tagesordnung, bis heute. Das hat damit zu tun, dass weder Produzenten noch A&R-Leute über andere Maßstäbe verfügen als ihr eigenes subjektives Empfinden. Es gibt kein Hitrezept.

Selbst der legendäre Sun-Records-Produzent Sam Phillips, der nun wirklich viele große Talente entdeckt hat, war nicht in der Lage, das Potential etwa eines Roy Orbison oder eines Johnny Cash richtig einzuordnen. Und wenn Meek die Beatles abwies, so war er damit angesichts der Demos, die Brian Epstein ihm vorlegte, keineswegs der einzige. Eigentlich hatten alle die Beatles abgelehnt; dass Epstein mit den Bändern bei Meek anrückte, dürfte bereits so ziemlich dessen letzter Ratschluss gewesen sein. (Fünf dieser Demos sind auf den "Anthology"-CDs der Beatles zu hören.) Schon Bert Kaempfert, der als Produzent für die Polydor in Hamburg ihre ersten Plattenaufnahmen betreute, hatte gesagt: "Es war klar, dass sie enorm talentiert waren, aber niemand - nicht einmal sie selbst - wusste, wie man dieses Talent nutzen könnte oder in welche Richtung es sie führen könnte" - und hatte sie gehen lassen. Auch der erfahrene Decca-A&R-Mann Dick Rowe wies die Beatles ab (immerhin band er dann später die Rolling Stones an die Firma), und selbst ihr späterer Produzent George Martin ließ sich etliche Monate Zeit, bevor er sie sich anhörte. Und wirklich hellhörig wurde er erst in dem Augenblick, als ihm die Beatles, die bis dahin mehr oder weniger eine Nachspielband waren, live im Studio einige Eigenkompositionen vorstellten und ihn offenbar die Ahnung streifte, dass darin ihr eigentliches Talent liegen könnte .

Es ist augenzwinkernd gelegentlich gesagt worden, eine Zusammenarbeit von Meek und den Beatles würde wahrscheinlich dazu geführt haben, dass "Sgt. Pepper" bereits 1964 erschienen wäre. Das ist ein nettes Bonmot, aber seien wir ehrlich: Die Zusammenarbeit zwischen einem autoritären Dickschädel wie Joe Meek und hochgradig selbstbewussten Musikern und Songschreibern vom Format Lennon/McCartney wäre kein halbes Jahr gutgegangen.

Meek, das ist wahr, hat sich grobe Vermarktungsfehler erlaubt und deutlich sich abzeichnende Trends zu spät erkannt oder ignoriert. Statt dessen versuchte er immer verzweifelter, ein zweites Telstar hinzubekommen - natürlich vergeblich. Zudem sind mehr als einmal potenzielle Hits, die bereits produziert waren, aus unerfindlichen Gründen auf B-Seiten gelandet oder überhaupt nicht veröffentlicht worden. Fehlentscheidungen dieser Art, wie gesagt, gab und gibt es in der gesamten Branche immer wieder, aber bei Meek häuften sie sich gegen Ende seiner Karriere in bedenklicher Zahl. Fraglos ein Zeichen dafür, dass er zunehmend die Übersicht verlor.

Aber auch, wenn es in der Presse oder der Blogosphäre regelmäßig auftaucht: Man muss weder Schizophrenie, eine unerkannte bipolare Störung noch "Geisteskrankheiten" welcher Art auch immer bemühen, um diese fehlende Übersicht zu erklären. Nachweisen ließe sich das alles heute, mehr als 45 Jahre nach Meeks Tod, ohnehin nicht mehr. Meeks insgesamt zunehmende psychische Gestörtheit lässt sich weitgehend auch mit seinem jahrelangen Missbrauch von Aufputsch- und Beruhigungsmitteln in Verbindung mit seinem schon immer vorhandenen Jähzorn und seinem Misstrauen erklären.  Der Amphetaminmissbrauch war, wie schon früher erwähnt, in den 1960er Jahren eine regelrechte Modeerscheinung. Jeder Arzt kannte die Folgen damals unter dem Begriff "Amphetaminpsychose", und auf Meek treffen deren Symptome geradezu schulbuchmäßig zu.

Bleibt höchstens zu fragen, weshalb trotz aller offensichtlichen Ausfallerscheinungen kaum jemand aus seinem Umfeld erkannt hat, dass dieser Mann den Weg nach draußen nicht mehr aus eigener Kraft finden konnte.

 

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Quellen s. Teil 13


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last update: March 25, 2014