Joe Meek - ein Portrait Teil 4: Joe Meek - der britische Phil Spector? ( here!)
In der Literatur über Joe Meek kursiert die Geschichte, Phil Spector habe Meek 1964 während eines London-Besuches angerufen, um ihn kennenzulernen. Meek sei daraufhin am Telefon völlig ausgerastet, habe Spector angebrüllt, er solle endlich aufhören, ihm seine Ideen zu stehlen und sich ansonsten zum Teufel scheren, und habe den Hörer mit solcher Wucht auf die Gabel geknallt, dass diese zerbrochen sei. - Eine schöne Anekdote, "bigger than life" sozusagen, aber mit ziemlicher Sicherheit ist sie dem Bereich der Fabel zuzuweisen. Die oft gezogenen Vergleiche zwischen Joe Meek und Phil Spector sind in Wahrheit wenig zutreffend. Tatsächlich lassen sich wesentlich deutlichere Parallelen zwischen Meek und dem US-Gitarristen und Recording-Pionier Les Paul finden, dessen Arbeiten Meek sehr genau kannte und zutiefst bewunderte. Abgesehen davon, dass sowohl Meek als auch Spector eine Vorliebe für Sonnenbrillen, Mono-Aufnahmen und viel Hall hatten, verbindet sie sonst wenig, weder in ihrer Klanggestaltung noch in ihrer Arbeitsweise. Mit Sicherheit war Meek das klar, und insofern dürfte er sehr genau gewusst haben, dass ihm Spector weder Ideen noch Kompositionen geklaut hatte. Beide Männer allerdings - und das verbindet sie in gewisser Weise dann doch - waren Produzenten, die einen einzigartigen, nicht kopierbaren Sound aller ihrer Produktionen anstrebten. Auf unterschiedliche Weise ist das beiden gelungen, und beide sind sie damit Pioniere gewesen, der eine in den USA, der andere in Großbritannien. Und beide sind im Leben nicht sehr glücklich geworden.
Phil Spector Mit Hi-Fi hat weder Meeks noch Spectors Sound zu tun, es ging bei beiden um Wiedererkennbarkeit. Sie setzten "Sound" als ein Marketingargument ein, als "Markenzeichen". Meek, wie vorher geschildert, hatte ein sicheres Gespür für klangliche Ökonomie und Durchhörbarkeit. Er liebte bewusst zur Schau gestellte, plakative Klangeffekte, die er immer selbst herstellte, setzte darüber hinaus aber auf Reduktion auf das Notwendige. Die Eigenart von Spectors "Wall of Sound" war es dagegen, individuelle Klänge zu verwischen und die Instrumente (die er gern in doppelter und dreifacher Besetzung spielen ließ) zu einem massiven Klangblock zu verdichten, in dem oft einzelne Instrumentenstimmen nicht mehr erkennbar und in den die Gesangsstimmen regelrecht eingemeißelt sind. Meek hat alle seine Geräte und ihre Möglichkeiten genau gekannt, zum Teil hatte er sie sogar selbst gebaut. Er wusste exakt, welches Gerät für welchen Effekt in Frage kam und wo er welches Mikrofon wie aufzustellen hatte; das "close-up miking" (siehe Kapitel 3) war eine seiner Spezialitäten. Spector dagegen war mit der technischen Seite des Studios nur wenig vertraut, er hatte auch kein Interesse daran. Er wird kaum jemals selbst ein Mischpult berührt oder ein Tonband geschnitten haben. Er hat auch nie ein Mikrofon selbst aufgestellt, das einzige, was er wusste, war: Close-up miking wäre für den Sound, den er anstrebte, tödlich gewesen. Diesen Sound hatte er sehr genau im Kopf, aber er wusste in der Regel nicht allzu genau, wie er technisch erreicht werden konnte. Spector blieb der Mann, der im Hintergrund stand und den Technikern seine Vorstellungen beschrieb, die diese dann realisierten. Es gibt keine Spector-Produktion, die man klanglich oder produktionstechnisch mit einer Meek-Produktion verwechseln könnte. Und umgekehrt existiert nur eine Aufnahme von Meek, die man bei oberflächlichem Hören einen Moment lang für eine Spector-Produktion halten könnte: Little Star (Shine On Us Tonight), 1963 oder 1964 mit dem nicht näher identifizierbaren Duo Lea & Chess aufgenommen und zu Meeks Lebzeiten unveröffentlicht geblieben. [Inzwischen weiß ich ein bisschen mehr über die Aufnahme. Bei Interesse besuchen Sie bitte mein Blog!] Auch in ihrer Veröffentlichungspolitik waren Meek und Spector grundverschieden. Spector hatte ein sehr feines Gespür für das Hitpotential eines Songs, und er konzentrierte seine Arbeit nur auf solche Songs, die er wirklich für hitverdächtig hielt. Dieses Fingerspitzengefühl, man muss es so deutlich sagen, hat Meek gefehlt. Er produzierte Unmengen von Songs in der Hoffnung, ein paar davon würden schon abheben. Der Meek-Biograph John Repsch nennt Zahlen: Von 1962 bis 1965 war Spector mit 21 Hits in den amerikanischen Billboard-Charts vertreten; Meek hatte im selben Zeitraum 24 Top-40-Hits in England. Der Unterschied: Spector hatte überhaupt nur 24 Singles veröffentlicht, Meek jedoch nicht weniger als 141. Das spricht schon eine deutliche Sprache. Eine andere Frage sind eventuelle charakterliche Parallelen zwischen Meek und Spector. Auch in dieser Hinsicht geistert viel Unsinn durch Presseartikel und die Blogosphäre. Beide etwa werden immer wieder als "Waffennarren" dargestellt - über Spectors Vorlieben soll hier nicht spekuliert werden, aber mit Sicherheit kann gesagt werden, dass Meek keiner war. Auf diese und einige andere Fragen wird in den weiteren Kapiteln noch eingegangen.
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