JOE MEEK


 

Joe Meek - ein Portrait

Teil 6: Mensch Meek

( here!)

 

Meeks Persönlichkeit war in vielerlei Hinsicht extrem und exzentrisch. Das dürfte in den zurückliegenden Kapiteln schon deutlich geworden sein. Aber Exzentriker haben in Großbritannien eine große Tradition, und außerdem ist vieles, was über Meek zu lesen ist, ungesichert oder übertrieben. Im folgenden daher einige Anmerkungen zu Punkten, die in Berichten über Meek regelmäßig auftauchen.

 

Prinzessin Meek

Unter normalen Umständen war Meek ein freundlicher Mensch, der eher zurückhaltend blieb, solange er nicht wusste, wie er sein Gegenüber einzuschätzen hatte. Seine Anzüge waren stets tadellos in Schuss, in Jeans hat man ihn nie gesehen, seine Haare waren gut geschnitten, die Teddyboy-Tolle saß perfekt. Meek rasierte sich bis zu fünfmal täglich, zog ständig eine intensive Rasierwasserfahne hinter sich her, und wenn man genau hinsah, bemerkte man, dass er Puder verwendete und oft auch dezentes Augen-Makeup trug (das später allerdings meist hinter einer Sonnenbrille verborgen blieb).

Als Kind hatte Meek regelmäßig mit Nachbarskindern selbstausgedachte Theaterstücke aufgeführt; selbst spielte er darin, wenn es ging, die Prinzessin. Womit ihn seine Mitschüler natürlich ebenso aufzogen wie seine Brüder. Deshalb zog sich Meek mehr und mehr in seine eigene Phantasiewelt zurück - und in den Schuppen, den ihm seine Oma zur Verfügung gestellt hatte und in dem er schon ziemlich bald mit Elektronikbasteleien begann. An Phantasie fehlte es ihm niemals.

 

Teetassen und Misstrauen

Einerseits war Meek mit einer guten Portion Humor ausgestattet und konnte, wenn er seinem Gegenüber vertraute, eine fast schon gefürchtete Kichererbse sein, wenngleich Selbstironie nicht zu seinen Stärken zählte. Den meisten Menschen vertraute er aber nicht, und mit diesem - latent wohl schon immer vorhanden gewesenen - Misstrauen machte er sich immer wieder unbeliebt. Die Angst, die Konkurrenz könne seine Ideen stehlen, ließ ihn sein Leben lang nicht los, und sie steigerte sich mit den Jahren. Dazu kam eine Impulsivität, die oft die Grenze zur Unberechenbarkeit überschritt, und eine große Unbeherrschtheit (eine Eigenschaft, die in der damaligen Familie Meek anscheinend recht verbreitet war). Passte ihm jemand nicht oder konnte er Kollegen und Musikern gegenüber seinen Kopf nicht durchsetzen, brannte ihm schnell die Sicherung durch. Er wurde dann nicht nur laut, sondern warf zuweilen auch mit allem um sich, was greifbar war, von Teetassen bis zu Tonbandspulen. Und wenn das nicht half, brach er nicht selten in Tränen aus.

Klar, dass dies ernste Störfaktoren im IBC-Studiobetrieb und auch später in Meeks Lansdowne-Zeit waren. Wenn er aus irgendwelchen Gründen den Regieraum verlassen musste, deckte er nicht selten die Reglerstellungen ab - es hätte sie ja jemand während seiner Abwesenheit fotografieren können. Aus Angst, von der Konkurrenz belauscht oder beobachtet zu werden, stopfte er auch Schlüssellöcher zu oder prüfte mit einem Kontaktmikrofon an der Wand, ob jemand im Nebenraum war, der hätte lauschen können. Viele solcher Vorkommnisse sind glaubwürdig bezeugt, und es leuchtet unmittelbar ein, dass dies kein Arbeitgeber auf die Dauer akzeptieren konnte. (Umgekehrt muss aber auch festgehalten werden, dass der damalige IBC-Studioleiter Meek nicht ausstehen konnte und ihn bei jeder Gelegenheit und vor allen Kollegen mit albernen Anweisungen und unverschämt-eindeutigen Bemerkungen zwiebelte.)

Wenn man aber in Biographien oder Blogs liest, dass Meek mit einer Schreibmaschine eine Zwischenwand eingeworfen haben soll, dass er durchs Fenster eine schwere Tonbandmaschine auf den unten aus der Haustür tretenden Drummer Clem Cattini geworfen und diesen nur knapp verfehlt haben soll, dass er immer wieder in maßlosen Wutausbrüchen Türen eingetreten, Möbel zerlegt oder gar das komplette Equipment von Bands die Treppe hinuntergeworfen haben soll - dann darf man das getrost der Sagenwelt zurechnen.

 

"Tone deaf"

Ins Märchenreich gehört auch, dass der Musikproduzent und Popkomponist Meek "tone deaf" gewesen sei , ohne musikalisches Gehör also. Das klingt natürlich lustig und wäre wunderbar kurios, aber: Kann man sich im Ernst vorstellen, dass jemand, der falsche Töne nicht von richtigen unterscheiden kann, das innere Ohr besitzt, über 200 Songs zu schreiben?

Wahr ist wohl einfach nur, dass Meek nicht singen konnte, und seine schrägen Demo-Gesänge relativieren sich spätestens dann, wenn man sich klarmacht, wofür sie da waren. Meek - wie etliche andere Popkomponisten auch - spielte kein Instrument und beherrschte die Notenschrift nicht. Um seine Einfälle festzuhalten, hatte er keine andere Möglichkeit, als sie auf Band zu singen. Als Hintergrundmusik verwendete er dazu oft Platten oder irgendwelche Backing-Bänder, die gerade herumlagen und harmonisch meist nicht zu dem passten, was er sang. Letztlich aber wird in fast allen Fällen trotzdem klar, was Meek meint - klar genug jedenfalls, dass die von ihm bevorzugten Arrangeure Ivor Raymonde und Charles Blackwell oder seine guten Hausgeister Dave Adams oder Geoff Goddard sich mit ihm ans Klavier setzen konnten, um aus seinen Aufnahmen die Melodielinien herauszuschälen und passende Harmonien zu entwickeln.

Wer sich also über Meeks schiefe Gesangsversuche mokiert (oder sie gar als Bonustracks auf CDs veröffentlicht), möge bedenken, dass diese Aufnahmen einfach akustische Notizbücher und als solche ein Teil eines mehrstufigen Arbeitsprozesses waren. Für Ohren außerhalb des Studios waren sie nicht bestimmt; schon gar nicht waren sie zur allgemeinen Volksbelustigung gedacht.

Meeks musikalisches Vorstellungs-und Hörvermögen muss hervorragend gewesen sein. Besonders dann, wenn es um die Transposition und Veränderung von Klängen durch Tonbandmanipulation ging, lief Meek zu großer Form auf - seine Fähigkeit, sich vorstellen zu können, wie sich ein beliebiger Klang anhören wird, wenn man ihn beispielsweise rückwärts und mit der halben Originalgeschwindigkeit abspielt, ist keine Kleinigkeit. Zudem war er in der Lage, die Akustik beliebiger Räume, vom Studio bis zum Festzelt, nach Augenschein zu analysieren; er muss plastisch vor sich gesehen haben, wie sich Schallwellen in einem gegebenen Raum verhalten, und konnte daraus ableiten, welche Mikrophone wo optimal aufzustellen waren.

 

Buddy Holly, Ouija-Boards und die Polizei

Meek war schon als Kind ein Träumer, und auf dem Boden der Realität ist er auch als Erwachsener nie ganz angekommen. Schon früh war er überzeugt, er werde eines gewaltsamen Todes sterben, bevor er 40 sei. Er liebte Todessongs, den Weltraum und Horrorfilme. Und er glaubte an die Wahrheit der Tarotkarten. Aus ihnen las er im Herbst 1957 heraus, sein großes Idol Buddy Holly werde am 3. Februar sterben. Er glaubte daran so fest, dass er Holly wahrscheinlich sogar eine Warnung zukommen ließ. Bezeugt ist, dass Meek den 3. Februar 1958 in großer Unruhe verbrachte und sich erst beruhigte, als abends klar war, dass Holly noch lebte. Als dann ein Jahr später - am 3. Februar 1959! - plötzlich gemeldet wurde, Buddy Holly sei bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen, war der Schock um so größer: Meek muss tagelang kopflos durch die Gegend gelaufen sein, bis er aus dem Ereignis für sich den Schluss zog, ein Medium zu sein.

Von diesem Glauben kam Meek nie wieder los. Von dem früher erwähnten Skiffle-Musiker Jimmy Miller ließ er sich in Séancen und den Gebrauch des Ouija-Boards einführen; regelmäßig suchte er eine Wahrsagerin auf. Überliefert ist auch ein Bericht, demzufolge Meek, als er einmal nachts allein im IBC-Studio war, Hals über Kopf aus dem Haus floh, ohne das Equipment abzuschalten oder die Tür abzuschließen, weil er glaubte, ein Gespenst komme die hölzerne Wendeltreppe herauf. Mit seinem spiritistischen Seelenbruder Geoff Goddard (der die Geisterkunde noch sehr viel ernsthafter betrieb als Meek) erprobte er die Kontaktaufnahme mit Verstorbenen; auf Séancen befragten die beiden Ramses den Großen, den Sänger Al Jolson und - na klar - Buddy Holly nach den Hitchancen von Meeks neuesten Platten. Von Zeit zu Zeit zogen sie auch nachts mit einem Tonbandgerät los und versuchten, auf dem Friedhof Stimmen der Toten aufzuzeichnen. Goddard ließ der Presse gegenüber verlauten, er habe die Anregung zu seiner Erfolgskomposition Johnny Remember Me aus dem Jenseits erhalten (der Sänger des Songs, John Leyton, war nicht allzu begeistert darüber, mit solcher Spökenkiekerei in Verbindung gebracht zu werden); zudem waren sie beide überzeugt davon, schon bald stehe uns Besuch aus dem Kosmos ins Haus. Goddard bereitet uns mit seiner wunderbar schrägen Platte Sky Men von 1963 schon einmal musikalisch darauf vor:

If you are ever out at night,
you and your darling,
and if you see this flashing light,
you and your darling:
Don't be afraid and run away
soon there's going to come the day
when all the world will hear them say:
"Children of Earth, be not afraid, for we come in peace!"

Meek selbst hatte seinen Glauben an außerirdisches Leben bereits 1960 mit der "Space Fantasy" I Hear A New World zum Ausdruck gebracht (mehr dazu hier).

Außerdem ließ sich Meek weder von der Gesetzgebung noch von der restriktiven Polizeipraxis der fünfziger und sechziger Jahre davon abbringen, schwul zu sein und zu bleiben. Genaues ist nicht bekannt, aber es muss ihm irgendwann während seiner Militärzeit klargeworden sein, dass das so ist. Menschen gegenüber, denen er vertraute, machte er daraus meist kein Geheimnis, aber Homosexualität war damals in England verboten und stand bis 1967 unter Strafe. Dass das auch für Meek nicht ohne Folgen blieb, darauf wird noch einzugehen sein.

 

Uppers & Downers

In den Jahren von 1960 bis 1966 hat Meek an die 700 Musiktitel produziert. Rund 250 davon hat er zudem selbst komponiert und betextet (eine Aufstellung finden Sie hier). Zunächst musste er - wie oben geschildert - Demos aufnehmen, aus den Demos mussten dann plattenreife Aufnahmen gemacht werden, und diese wiederum mussten an Labels verkauft und in den Radioprogrammen untergebracht werden. Dazu kam noch das Management etlicher seiner Künstler. Kurz: Meek hat jahrelang wie ein Besessener gearbeitet.

Darüber geriet er an Amphetamin, auch "Speed" genannt. Die damals verbreitetsten Präparate waren Dexedrin und Preludin, beide als "slim pills" frei verkäuflich, und wie Anfang der sechziger Jahre viele, hatte der ein wenig füllige Meek damit ursprünglich wohl nur ein paar Kilo abspecken wollen. Weil sich aber mit diesen kleinen Helferlein scheinbar auch die Leistungs- und Konzentrationsfähigkeit steigern ließ, blieb er daran hängen. Damit setzte sich nach einiger Zeit langsam, aber sicher der altbekannte Teufelskreis in Bewegung: Er nahm Uppers zum Wachwerden, und Downers (Beruhigungs- bzw. Schlafmittel), um wieder zur Ruhe zu kommen. Wie noch zu schildern sein wird, ließen die Folgen nicht lange auf sich warten.

 

Alkohol und sonstige Drogen

Meek war Nichtraucher, und über seinen Uppers- und Downers-Missbrauch hinaus gibt es keine Anzeichen dafür, dass er zu übertriebenem Alkohol- oder sonstigem Drogenkonsum neigte. Er war kein Antialkoholiker, aber dass er häufig betrunken gewesen wäre, wird nirgendwo berichtet.

Der Musiker Tony Grinham allerdings sagt in einem Artikel des Musikjournalisten John McCready, Meek habe ihm anvertraut, auf einem wohl recht übel verlaufenen LSD-Trip sich selbst verloren auf einem Floß irgendwo im Ozean gesehen zu haben. - Abgesehen von dieser kaum glaubhaften Holzhammermetaphorik: Meek und LSD? Passt das zusammen?

Man kann wohl davon ausgehen, dass ab etwa 1964 auch in Meeks Studio gelegentlich irgendjemand LSD dabeihatte, alles andere wäre einfach unrealistisch. Es ist deshalb nicht auszuschließen, dass Meek die Droge ausprobiert hat. Sollte das so gewesen sein, wird sie seinen zu diesem Zeitpunkt bereits ziemlich angeschlagenen psychischen Zustand nicht gerade verbessert haben. McCreadys Artikel geht aber noch weiter: Meek hatte von Zeit zu Zeit Phasen, in denen er einfach minutenlang in die Luft starrte, und auch diese erklärt McCready mit LSD-Trips. Das aber ist schon deshalb unrealistisch, weil sich halluzinogene Drogen und konzentrierte Arbeit ausschließen. (Eher noch könnte man sich Meek aufgrund seines sonstigen Verhaltens und seiner Speed-Gewohnheiten als Koks-Benutzer vorstellen, doch darüber gibt es keinerlei Berichte.) Bleibt noch anzumerken, dass Meeks angeblicher LSD-Konsum durch keine zweite Quelle bestätigt wird.

 

Waffennarr Meek?

Gelegentlich stößt man auf Artikel oder Blogeinträge, die Meek als durchgeknallten Waffennarren darstellen. Besonders oft taucht diese Behauptung in Beiträgen auf, die ihn mit Phil Spector vergleichen. Üblicherweise wird auf zwei Ereignisse angespielt:

Die eine Geschichte soll 1965 passiert sein. In John Repschs Meek-Biographie wird sie von dem Organisten Dave Watts erzählt; der oben bereits erwähnte Journalist John McCready erwähnt sie in seinem Artikel für das "Mojo"-Magazin ebenfalls: Nachdem der Drummer Mitch Mitchell bei einer Aufnahmesession wiederholt eine bestimmte Passage zu wild gespielt hatte, soll ihm Meek wutentbrannt mit den Worten: "If you don't do it properly, I'll blow your fucking head off!" ein Gewehr an den Kopf gehalten haben.

Diese Story taucht denn auch prompt (und noch zugespitzt) zunächst in Nick Morans Bühnenstück "Telstar" von 2005 auf und wurde sehr tränentreibend auch in den 2008 entstandenen Spielfilm eingebaut. Man kann sie aber getrost vergessen: Nachdem McCreadys Artikel in "Mojo" erschienen war, hat Mitch Mitchell in einem Leserbrief postwendend klargestellt, dass dieser angebliche Vorfall nicht stattgefunden hat.

Die zweite Geschichte dreht sich um eine Startpistole, die im Studio herumgelegen haben soll. Sie scheint es tatsächlich gegeben zu haben. Sie taucht in verschiedenen Berichten auf; der bislang neueste stammt von dem Sänger Tom Jones, der einem BBC-Talk vom März 2009 zufolge von Meek damit bedroht worden sein will. Auch Vernon Hopkins, der Bassist von Jones' damaliger Band The Senators, behauptet in einem Interview mit "Wales Online", Meek habe eine Pistole auf ihn gerichtet, die sich später als Startpistole herausstellte.

Mit Sicherheit hat Meek die Drohung keine Sekunde lang ernst gemeint, aber in dieser Aufnahmesession muss irgendetwas vorgefallen sein, das ihm die Pferde durchgehen ließ. Tom Jones (und mehr noch sein Bassist, der gar von "gun terror" spricht) mögen die Geschichte zwar dramatisieren, aber es gibt keinen Grund, ihnen zu unterstellen, sie erfunden zu haben. Vermutlich war sich Meek dessen nicht bewusst, aber sein Ruf zu dieser Zeit war keineswegs mehr der beste; er galt als unberechenbar und explosiv, und das war alles, was Jones über ihn wusste. Man kann sich dessen Schrecken vorstellen, als er plötzlich in die Mündung einer Pistole blickte, und seinem Bassisten wird es nicht anders gegangen sein.

Zudem gibt es Aussagen, dass diese Startpistole auf zumindest einem Demoband aus den T-Chest-Tapes (mehr zu diesen Bändern hier) auch zu hören ist.

Das "Thunderbolt"-Magazin der Joe-Meek-Society behauptet dagegen, Meek habe keine Startpistole besessen. Leider nennt es keine Belege für diese Behauptung (und es liegt in der Natur der Sache, dass eine solche Behauptung eigentlich auch nicht belegbar ist). Generell wäre eine Start- oder Schreckschusspistole in einem Tonstudio kein allzu überraschender Fund; die meisten Studios besaßen vor dem Sound-Sampling-Zeitalter alle möglichen Geräuscherzeuger.

Eine scharfe eigene Schusswaffe hat Meek nach allem, was wir wissen, nie besessen. Beweisen lässt sich das natürlich nicht, immerhin aber haben damalige Musiker und Mitarbeiter nach eigenen Aussagen nie eine Waffe im Studio gesehen und können sich auch nicht erinnern, dass Meek jemals über Waffen oder ihren Gebrauch gesprochen hat. Die wilde Knallerei in den Titel Ambush von den Outlaws (vom Mai 1961) ist vom Fernseher aufgenommen. Sicher ist, dass Meek als Jugendlicher Lautsprecher in die Kirschbäume im elterlichen Garten hängte, um die Vögel akustisch zu verscheuchen - er wollte verhindern, dass seine Brüder auf sie schießen.

Meeks zeitweiliger Mitbewohner Heinz Burt allerdings (mehr über ihn im folgenden Kapitel) war Hobby-Schütze und besaß eine Schrotflinte. Er scheint damit aber recht verantwortungsbewusst umgegangen zu sein; wenn er irgendwo vor der Stadt auf (Ton-) Tauben und Karnickel schießen wollte, bat er die Bauern oder Förster vorher um Erlaubnis, und es gibt Belege dafür, dass er die Flinte auch nie unbeaufsichtigt ließ. Insofern ist kaum anzunehmen, dass dieses Gewehr frei zugänglich im Studio herumlag. (Wikipedia behauptet sogar, Meek habe die Waffe "konfisziert", um zu verhindern, dass Heinz sie auf eine Tournee mitnahm und auf Vögel schießen würde.)

Konfisziert oder nicht, als Heinz 1965 auszog, vergaß er in jedem Fall, die Waffe mitzunehmen. Sie lag aber nicht einfach irgendwo herum, sondern Meek verwahrte sie in seinen Privaträumen im oberen Stockwerk unter dem Bett. Studioassistent Patrick Pink hat nach eigenen Aussagen nicht gewusst, dass die Waffe überhaupt im Haus ist (die in Nick Morans Film "Telstar" gezeigte Sequenz, in der Pink Heinz mit dessen eigenem Gewehr aus dem Haus wirft, ist frei erfunden.) Es gibt keine Berichte darüber, dass Meek die Flinte vor Februar 1967 benutzt oder auch nur hervorgeholt hat, auch Munition besaß er nicht.

 

"They need me, I don't need them."

Spätestens ab 1965 hatte Meek damit zu kämpfen, dass das Interesse der Plattenfirmen an seinen Produktionen nachließ. Je deutlicher das aber wurde, desto mehr verrannte er sich in diesen Spruch. Diese Selbstüberschätzung ist typisch für Meek. Auf der anderen Seite erwähnen viele, die mit Meek zu tun hatten, immer wieder seine spontane Hilfsbereitschaft und seine Großzügigkeit. Dass Meek ideell und finanziell sogar entlassene Strafgefangene unterstützte, ist weitherum unbekannt. Und die wenigen Leute, die ihn über längere Zeit gut kannten, mochten ihn sehr gern, trotz aller seiner Macken, Schrullen und seiner Unberechenbarkeit auch ihnen gegenüber. Meek war und ist eine Person voller Widersprüche.

Glücklich gewesen ist er - über kurze Momente hinaus - wohl niemals. Die Liebe, die Meek entgegengebracht wurde, war nicht die, die er suchte, und die, die er suchte, fand er nie. Immer mehr verlief er sich darüber in seinem selbstgenerierten kreativen Chaos. Man sollte seine Songtexte nicht zu persönlich sehen, aber dennoch spürt man gelegentlich seine zunehmende Verzweiflung, wie zum Beispiel in Loneliness, im Dezember 1962 mit Mike Berry & The Outlaws als B-Seite veröffentlicht:

Loneliness woe, woe – he’s got his claws in me
Loneliness woe, woe – seems to be my destiny
Made to cry in the night
no one seems to treat me right
Loneliness woe, woe – what’s to become of me?

Happiness yeah, yeah – always seems to pass me by
Happiness yeah, yeah – give some to this lonely boy
I could treat someone good
with everything a lover should
Loneliness woe, woe – what’s to become of me?

Es ist schwer, einen genauen Zeitpunkt auszumachen, aber sein Misstrauen, seine Stimmungsschwankungen und seine cholerischen Ausbrüche nahmen irgendwann so absurde Züge an, dass es selbst für gutwillige Wegbegleiter nicht mehr erträglich war. Zudem wurde Meeks Vorstellung, die Konkurrenz habe sein Studio verwanzt, immer mehr zur fixen Idee. Am Ende wurden im Studio deshalb keine wichtigen Dinge mehr besprochen, sondern man verständigte sich mit Hilfe von Notizzetteln.

Befremdliches, irritierendes Verhalten, ganz sicher. Aber darf man daraus schon schließen, Meek sei "mentally ill" - geisteskrank also - gewesen, wie dies Barry Cleveland in seiner Meek-Biographie tut? War es nicht doch einfach nur der jahrelange Medikamentenmissbrauch und der ständige extreme Leistungsdruck, unter den sich Meek selber setzte? Ich für meinen Teil wäre mit einer solchen Zuschreibung jedenfalls sehr vorsichtig.

 

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Quellen s. Teil 13


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© 2006 Jan Reetze

last update: March 25, 2014